Kapitel 18: Epilog

Es ist Samstag Nacht. Ein lauer Abend, alles ist angenehm erschöpft, ein ruhiger Atem weht durch die Welt. Ich sitze in meiner Wohnung und warte, denn ich bekomme noch Besuch. Ich blättere in der Tageszeitung. Es ist kurz nach acht, sie haben sich eigentlich für acht angesagt. Die Platten liegen neben meiner Stereoanlage, insgeheim habe ich schon eine Liedauswahl getroffen. Alles ist bereit. Es ist Bier da. Und schon klingelt es. Ich öffne und fast alle sind sie da: Pandarei und Plenten, Nobnoj,

Alexandra und der Baßmann, der Tom entschuldigt, er habe kurzfristig einen lange schon vereinbarten Termin wahrnehmen müssen, Sweet Little Susie, so gut hat sie schon lange nicht mehr ausgesehen, reizend und der alte Mann, zusammen Philemon und Baucis. Ich bitte sie herein. Sie setzen sich um den runden Tisch. Jeder trinkt Bier. Das ist schön.

Autor: Es freut mich, daß ihr meiner Einladung gefolgt seid. Wie geht es euch?

Alexandra: Wir sind gekommen, um dir zu danken. Schließlich hast du uns allein zusammengebracht, wir sind ein Paar und du hast unser Märchen erzählt.

Autor: Ich tue, was ich kann. Ich finde, daß jeder von euch ein gutes Ende verdient hat, weil ihr so geduldig wart mit mir. Aber glaubt mir, es war nicht immer leicht für mich, auch wenn es euch so vorkommen muß.

Nobnoj: Ich habe trotzdem den Eindruck, daß du manche von uns bevorzugst, während andere sehr schlecht wegkommen.

Autor: Tut mir leid, lieber Nobnoj, aber eigentlich hättest du der böse, schlechte Verabscheuungswürdige werden sollen, aber auch du bist mir ans Herz gewachsen. Immerhin darfst auch du im Jahrtausend des Friedens und der Freude noch einige Jahre leben. Außerdem hast du genug Geld und Erfolg für Generationen gehabt.

Nobnoj: Das ist nicht alles. Einsamkeit kann tödlich sein.

Pandarei: Aber wir sind doch alle deine Freunde.

Nobnoj: Ich bin immer der Dumme, nichts gelingt mir.

Plenten: Du hast Glück gehabt, daß du so billig davongekommen bist, normalerweise stirbt der Bösewicht am Schluß eines Märchens.

Philemon: Wer will denn hier von einem normalen Märchen reden? Normalerweise bin ich es ja gewohnt die großen Monologe zu halten, aber darüber will ich hinwegsehen, doch daß ich auch noch die Rolle des Philemon zu spielen habe, das ist schon sehr an den Haaren herbeigezogen,. Ich habe nur schlechte Erfahrungen im Bereich der Ehe gemacht mit meiner Frau Xanthippe. Das ist was ganz Neues.

Baucis: Ich hatte nicht den Eindruck, daß es dir bis jetzt mißfallen hätte. Hier ist nicht alles so, wie es sein sollte, so wie im Märchen wirklich. Hier treffen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das kann kein Mensch mehr auseinanderhalten, vor allem nicht, was wahr war oder sein wird. Meinst du nicht, daß wir völlig willenlos ausgeliefert sind? Natürlich gibt es gerechtere Autoren, aber nun müssen wir halt das beste daraus machen. Das ist kein Zufall, das ist Willkür.

Autor: Es ist vor allem nicht so leicht, wie ihr euch das vorstellt. Es hat mich sehr viel Mühe gekostet und ich mußte große Stücke von mir selbst schmerzhaft abtrennen, um sie auf das Papier kleben zu können. Das tut weh. Und wenn es dann vor einem steht oder liegt, erschrickt man ganz schön, wenn man merkt, wie häßlich es ist, wie häßlich man selbst ist.

Pandarei: Ich finde es ganz schön.

E s klingelt. E s ist Heinz. E r sieht schlecht aus.

Heinz: Guten Abend. Tut mir leid, wenn ich zu spät bin, aber es geht nicht schneller. Sie haben mich übel zugerichtet.

Nobnoj: Und was ist das? Er hat doch am wenigsten von uns allen so eine Behandlung verdient. Er ist ein grundguter Mensch. Was soll das? Schreib mir diese Verletzungen zu!

Autor: Beruhigt euch doch. Ich habe diesen Zauberstab immer noch in der Hand. Seht selbst.

Heinz verwandelt sich in einen immerjungen, immerschönen Mann.

Heinz: Pandarei, sag mal, habe ich nicht noch etwas gut bei dir.

Böse Blicke aller auf den Autor.

Autor: Tut mir leid. Für alles könnt ihr mir nicht die Schuld geben. Soweit seit ihr schon noch Individuen.

Philemon: Ein schönes Märchen ist das.

Autor: Ich komme aus einer ganz anderen Realität. Ihr würdet euch wundern, wie wenig da möglich ist.

Nobnoj: Erzähl uns mehr davon!

Autor: Naja, irgendwie ist eure Wirklichkeit schon eine ganz gute Abbildung davon, natürlich stark vereinfacht. Haltet ihr mich eigentlich für einen phantasielosen Menschen?

Baßmann: Ich mußte einmal von meiner kleinen Welt erzählen.

Plenten: Und ich mußte Schafkopf spielen.

Pandarei: Glaubst du, du tust mir was Gutes, wenn du der ganzen Welt erzählst, daß ich mir nichts Schöneres vorstellen kann, als am Swimming Pool zu liegen und Cocktails zu trinken. Ich meine, ich brauche keine Gaffer, um das zu genießen:

Philemon: Streich den letzten Satz. Sofort. So etwas brauchen wir uns nicht gefallen zu lassen.

Plenten: Außerdem haben wir Körper. Die wollen auch ihr Recht. Hast du nie daran gedacht? Aber es war schon schwer deine Wohnung zu finden. Gut, daß in Wolkenkuckucksheim jeder weiß, wo der Elfenbeinturm steht.

Autor: Du wolltest Bücher schreiben wie Dostojewski, erinnerst du dich noch? Ich bin kein amerikanischer Autor hinter dem ständig ein Verleger steht und sagt: Schreib "Ficken", schreib "Vögeln". Ich bin auch nicht den ganzen Tag hinter euch hergewesen. Ihr konntet euch sogar die meiste Zeit frei bewegen. Schon mal was von Erzählzeit und erzählter Zeit gehört?

Philemon: Haben sie dir davon in der Schule erzählt?

Autor: Wenn sie mir dort nichts von dir erzählt hätten, hätte ich dich auch nicht zum Leben erwecken können.

Philemon: Hätte mir nichts ausgemacht, war tot ganz schön.

Baucis: Philemon, bitte

Philemon: Nenn mich nicht dauernd Philemon, ich kenne keinen Philemon.

Plenten: Ist Totsein eigentlich jetzt wie ein traumloser Schlaf?

Nobnoj: Jetzt kommt dann gleich, daß es sich hier um ein politisches Buch handelt. Gegen den Kapitalismus, gegen die Ausbeutung der Massen für Frieden und Verständigung unter den Völkern. Mensch, hast du denn nicht gemerkt, daß die Zeiten sich geändert haben? Du bist veraltet. Ich meine, es geht doch darum, daß du langsam erkennen solltest, was in Wirklichkeit in der Welt los ist, du kannst nicht ewig sechzehn bleiben.

Autor: Das kann ich oft genug von Leuten hören, die ich mir nicht ausgedacht habe. Außerdem

kann ich von dir nicht verlangen, daß du verstehst, worum es mir geht, du bist schließlich eine der Hauptfiguren. Jedenfalls kann ich jetzt einiges verlassen, wenn ich euch jetzt verlasse. Bleibt mir wenigstens noch diese wenigen Augenblicke treu, danach könnt ihr machen, was ihr wollt! Ihr seid nicht von dieser Welt.

Heinz: Also, ich finde es ganz in Ordnung.

Plenten: Ich bin der Messias, jeder ist der Messias. Macht was aus eurem Leben! Lebt gut, seid frei, Brüder und Schwestern! Wie lange sollen wir uns das noch anhören? Das macht keinen Spaß mehr. Das ist alles so bitter und zynisch.

Philemon: Laß ihn! Er hat sich Mühe gegeben. Das rechne ich ihm an. Er ist ein Kleingeist, aber ein netter Kerl. Außerdem hat er ein paar Mal versucht, echt zynisch zu sein. Ich habe den Eindruck, daß es ihm Spaß gemacht hat. Hast du nur damit aufgehört, weil dir ein paar Freunde in deiner echten Wirklichkeit gesagt haben, daß das nicht nett ist?

Autor: Ich könnte die letzten Sätze auch streichen.

Baucis: Man muß die Menschen zuerst verachten und hassen um einzelne bewußt lieben zu können.

Pandarei. Mir fällt gerade auf, daß ich mit euch noch ein ernstes Wörtchen zu reden habe. Ich habe mir das ganze nicht einfallen lassen. Ich und mein Freund Plenten haben die ganze Zeit Dinge gemacht, die wir freiwillig nicht gemacht hätten. Aber wir Opfer hätten wenigstens zusammenhalten können.

Philemon: Entschuldige, wenn ich jetzt lache, das ist in der Tat eine sehr ernste Sache.

Autor: Ich wollte doch nur euer Bestes.

Heinz: Natürlich. Langsam reicht es. Du bist nicht mehr witzig.

Autor: Was soll das? Ihr kommt hierher, trinkt mein Bier und macht euch über mich lustig.

Pandarei: Sollen wir dir vielleicht dankbar sein? Dein Selbstmitleid kränkt uns.

Autor: Irgendwas mußte ich doch mit euch anstellen. Ich muß doch auch von etwas leben. Ich kann den Leuten da draußen in meiner Wirklichkeit doch nicht Geschichten davon erzählen, wie meine Protagonisten von Anfang an in der Sonne liegen in tiefster Eintracht und Zufriedenheit und ihr Leben genießen. Jeder von euch hat doch um mehr Tragik gebeten.

Baßmann: Merkwürdige Dinge geschehen uns.

Plenten: Bin ich jetzt eigentlich Elvis oder nicht?

Autor: Mir doch egal.

Philemon: Elvis ist tot.

Pandarei: Sokrates auch.

Baucis: Und Nietzsche und der Liebe Gott.

Alexandra: Wieso soll das eigentlich ein philosophischer Trashroman sein?

Pandarei: Du bis doof.

Autor: So im Nachhinein würde ich das nie mehr zu behaupten wagen.

Nobnoj: Mir tun bloß die Leute leid, die das ganze lesen sollen. Wenn ihr tatsächlich bis hierher kommt, laßt euch sagen: Das hier ist ein Superscheiß, egal was man euch erzählt, gebt ihm keine

Chance.

Autor: Es bleibt Trash, das ist meine Entschuldigung und Philosophie ist was für weltfremde Idioten. Uns Geschichtenerzählern gehört die Welt.

Philemon: Geschichtenerzähler? Das ich nicht lache. Wir gehen. Auf Wiedersehn. Danke für das Papierbier.

Autor: Ich hätte euch jetzt sowieso rausgeschmissen, denn ich habe noch ein Rendezvous mit einer Frau in Weiß, die ich so lange mit meiner Feder wundkratzen werde bis schwarzes Blut aus allen Stellen ihres Körpers fließt und ihre Unschuld entstellt.

Plenten: Unglaublich, du bist nur zweihundert Jahre zu spät geboren, damals hätte man sich über dich noch amüsiert, doch heute ist es nur tragisch und traurig.

Autor: Das ist das Netteste, was sei langem jemand zu mir gesagt hat.

Nobnoj: Frau in Weiß! Ich würde fast wetten, daß du Recychlingpapier verwendest. Unglaublich komisch, daß wir dauernd rauchen mußten, weil du das scheinbar für politisch besonders unkorrekt hältst. Meine kleine Welt. . .

Alexandra: Ich glaube, du mußt noch viel über das Leben lernen, dann kannst du auch gute Bücher schreiben.

Autor: Ich finde, es zeigt von höher menschlicher Größe, wenn ich so einen Satz unzensiert stehen lasse.

Pandarei: Wenn du irgendwann vorhaben solltest, eine Fortsetzung zu schreiben, dann müssen wir uns vorher zusammensetzen. Ich habe ein paar gute Ideen, wie wir das Ganze so aufziehen könne, daß es gut wird.

Autor: Auf Wiedersehn, du Schöne: Ich freue mich.

Philemon: Jaja, die Phantasie, hihi.

Alle ab bis auf Baucis.

Baucis: Nimm das nicht so ernst, die sind jetzt alle betrunken. Denk nicht soviel nach, das ist schon in Ordnung, das machen die wenigsten Autoren.

Autor: Danke, du bist so gut, ich bin stolz auf dich.

Baucis ab.

Hat man da noch Worte? Ähnlich muß sich Gott beim Turmbau von Babel gefühlt haben. Alexandra und ihr Baßmann sind mit dem Auto gekommen. Die kurze Strecke! Sie wissen, es wäre ein leichtes

für mich, sie tödlich verunglücken zu lassen oder sie in eine Polizeikontrolle geraten zu lassen. Genug

getrunken haben sie. Aber mein Freund Jesus kann auch Wein in Wasser verwandeln. Doch das alles

habe ich nicht nötig. Nicht ich.

Liebe Leser, ich bin euch sehr dankbar, daß ihr mir eure Zeit geschenkt habt. Ich werde sie jetzt sinnlos verprassen, so ist das Leben und das Vertrauen. Ich bin jetzt einer von euch, das letzte was ich also brauche ist euer Mitleid, nehmt es und tragt es zurück zur 52. Straße! Ich bin kein zorniger Teenager mehr, die Zeiten sind vorbei. Ich werde jetzt dann ein paar längst überfällige Briefe schreiben und endlich wieder zum Friseur gehen, das bin ich euch schuldig. Reicht mir eure Hände zum gemeinsamen Schluß:

Kastor und Pollux stolperten betrunken über die Milchstraße nach außen. Da lag mitten auf dem Weg die Mütze ihres Vaters, die sie vor Jahrmillionen verloren hatten. Kastor beugte sich zu Boden, um sie aufzuheben, doch Pollux hielt ihn zurück und sagte: "Laß liegen, mein Sohn, laß liegen!"

Doch das ist eine andere Geschichte.

 

 

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