Kulturhoheit
„Die weiße Massai“

Es gibt die Tage, an denen sich ein Menschenleben komplett umkrempelt, und es gibt die Tage, an denen man feststellt, dass es sich keineswegs umgekrempelt hat, dass bestenfalls und großzügig betrachtet die Bettdecke ein bisschen zerwühlt ist. Carola ist mit ihrem Freund beim letzten Tag ihres gemeinsamen Kenia-Urlaubs, sieht zufällig einen hünenhaften Massai ihren gemeinsamen Weg kreuzen und weiß schnell, dass ihr Leben fortan in den Armen dieses dunklen Fremden liegen wird. Sie lässt alles Schweizerische hinter sich und verzieht sich ins kenianische Bergland, in die Strohhütte ihres Manns fürs Leben, obwohl alle sie warnen, das werde schwer, da habe sie sich einen Blödsinn in den Kopf setzen lassen, das sei doch eine ganz andere Kultur, in der die Frauen nichts zählten, da werde sie nicht viel zu lachen haben.
Aber es kommt alles ganz anders: Schwer hat sie es freilich, doch die andere Kultur ist nicht so roh, dass sie nicht bezwungen werden kann. Das fängt im Kleinen an, damit, dass sie ihrem wilden Liebhaber das Animalische austreibt und ihm das zärtliche Küssen beibringt, und das endet im Großen damit, dass inmitten dieser Ödnis einen Schweizer Gemischtwarenladen eröffnet. Dabei bricht sie ständig Tabus, revolutioniert die primitive Ziegenhüterdorfgemeinschaft regelrecht. Bei den Massai ist es zum Beispiel unüblich einem anderen Mann als dem eigenen in die Augen zu blicken als Frau, weil der eigene daraufhin vor Eifersucht beinahe explodiert. Carola macht es trotzdem, und Jacky Ido, der ihren Mann spielt, reagiert zunächst, seiner Natur entsprechend, wütend, doch schließlich lächelt er immer so gewinnend und versöhnt, nachdem sie ihr „Stop it“- respektive „I'm sorry“-Geheule an seine Schulter abgelassen hat.
„Die weiße Massai“ erzählt von einem missglückten Integrationsversuch, der vor allem daran scheitert, dass die Weiße ihre Zivilisation für überlegen hält, indem sie alle Schwierigkeiten auf sich nimmt, um den Eingeborenen zu zeigen, wie viel besser sie es haben könnten. Es gibt nichts übertrieben Edles in der Zeichnung dieser Menschen, aber sie sind offen für das Fremde, lassen es existieren, ohne dafür etwas zu fordern. Ein italienischer Pater Bernardo lebt seit 15 Jahren ebenfalls im Dorf. Er wirkt anfangs sehr abweisend zu der jungen Frau, die auch hier eindringen will, doch später sagt er: „Ich würde Ihnen gern helfen, aber ich weiß nicht, wie ich es kann.“ Er weiß, dass er immer der Fremdkörper bleiben wird und dennoch leben darf. Die Versuche, etwas zu ändern, hat er eingestellt. Er ist gelassen, wenn ein Mädchen kurz vor ihrer Hochzeit beschnitten wird und dabei fast verblutet. Einerseits sind das traurige Momente in dem Film, andrerseits ist es seine Qualität, dass er sich nicht einmischt, seine Protagonisten machen lässt, ohne sich auf eine Seite zu schlagen. Es ist alles wirklich passiert und zwar Corinne Kaufmann, die darüber ein Buch geschrieben hat. Nina Hoss spielt Carola, sie spielt keine Heldin, sie spielt eine Frau, die zu klein ist für ihren Traum, die aber dennoch an seinem Zerbrechen wächst, weil sie einsieht – und mit ihr vielleicht die Zuschauer des Films –, dass sie nicht das Maß der Welt ist.
START: 15. September 2005

Willibald Spatz
5. September 2005

mehr Kritiken