Die modernen Zeiten haben mit sich gebracht
einen legeren Umgang mit der Privatheit. Ohne Umstände riskieren
zu müssen darf man teilhaben an Telefonaten durch Handys, Verhandlungen
über kurz vor der Intimität halt machende Angelegenheiten.
Ein Vergnügen, zweifelhaft manchmal, wenn’s einem peinlich wird um
den Sprecher oder wenn’s langweilig ist. Die Menschen verändern sich
so auch selbst, indem sie glauben, dass sie, wenn sie schon nichts mehr
verstecken können, auch nichts mehr verstecken müssen.
Wer heute ein Zeitgenosse ist, hat das
Glück, Hans Steinbichler fünf Euro an der Kinokasse geben zu
können, damit er es einem professionell macht. Sein „Hierankl“ wühlt
viel im Privatleben von Jemanden, von denen man bis kurz vorher gar nicht
wusste, dass sie einen interessieren. Er zeigt Lene - übrigens
am Anfang in ein Handy in einem Zug telefonierend - heimkommen, auf den
Einödhof Hierankl, zum 60. Geburtstag ihres Vaters. Dort trifft sie
auf ein rechtes geschlechtliches Durcheinander nach der langen Zeit.
Der Vater hat ein Verhältnis, die Mutter auch, zufällig den ehemals
besten Freund des Sohnes, der wüsterweise noch im Haus mitlebt. So
weit, so wild, aber die Beteiligten sind unkompliziert, die reden offen
darüber. Dann kommt ein Studienfreund zum Feiern und einige Hämmer
zutage, die schlimm sind, auch wenn man darüber redet, aber wieso
schlimm versteht man nach so viel Offenheit eigentlich nicht mehr.
Darum geht’s vielleicht auch nicht. Diese
Personen und ihre Geschichten sind nur ein trojanisches Pferd, mit denen
der Regisseur seinen Blick auf die Welt durch die Kamera in die Köpfe
der Zuschauer bringt. Das ist sehr sehenswert. Dass das Holz des Pferdes
ausnahmslos Schauspieler sind, denen man noch begeistert zuschaut,
würden sie auf einem Misthaufen zum Beispiel Cowboys und Indianer
spielen, schadet der Sache nicht im geringsten, eher im Gegenteil. Trotzdem
ist es die Art, diesen Ort und die Menschen darin zu inszenieren, was den
Film zum optisch Aufregendsten macht, was seit langen im deutschsprachigen
Raum gedreht wurde und einen wirklich gern die Handlung vergessen lässt.
Gott sei Dank ist genug Metacoolness im Spiel, um Sohn Pauli gegen
Schluss sagen zu lassen: „Mich interessiert das doch auch nicht mehr. Das
ist wirklich wie im Heimatfilm Richtung Ende.“
Eigentlich ist nur ein Tag ohne Selbsterkenntnis
ein verlorener Tag. Heute als der Tag an dem man diesen Film gesehen hat:
Diese Beziehungssachen sind eigentlich immer dieselben und deswegen uninteressant,
wenn man die Leute drunter nicht kennt. Wieso verrät niemand, was
Lene in Berlin – von da kommt sie nämlich heim – so treibt? Eigentlich
privat, nicht in Beziehung.
Willibald Spatz
19. November 2003