Tiflis ist ein ferner, exotischer Ort,
um einen Europäer dorthin zu entführen. Julie Bertucelli macht
es in ihrem Spielfilmdebüt Seit Otar fort ist... Sie stellt
in seine Mitte drei Generationen von Frauen: Großmutter Eka, Tochter
Marina und Enkelin Ada. Sie wohnen zusammen in einer Gemeinschaft, die
stabil scheint, resistent gegen die Bedrohungen, vor allem finanziellen,
von außen.
Die Titelfigur, Otar, bekommt die ganze
Zeit keiner zu Gesicht. Er ist der Bruder von Marina und sucht sein Glück
in Paris, findet dort aber nur den Unfalltod als illegal Beschäftigter
auf dem Bau. Sie Jüngeren fürchten, dass die Nachricht der Großmutter
den Rest geben könnte und verheimlichen sie ihr. Aber die urige Alte
setzt nach einem Schwächeanfall alle ihr noch verbliebenen Energien
in Gang, um den geliebten Sohn, der schon lange nicht mehr anruft, dafür
aber häufiger Brief schreibt, noch ein letztes Mal zu sehen. Sogar
die Bibliothek von französischen Büchern, die Marina verschont
hat im Kampf ums Überleben, versetzt sie, um allen ein Flugticket
nach Paris kaufen zu können.
Julie Bertucelli hat bisher Dokumentarfilme
gedreht und dabei die Fähigkeit entwickelt, ihre Kamera in der Wohnungsecke
verschwinden zu lassen und den Menschen zuzuschauen, sie zu beobachten
auf eine unaufdringliche, unvoyeuristische Weise. Voran Esther Gorintin
als Eka, die vor der Kamera steht, seit sie 85 ist, eine liebe Powerseniorin
und die wahre Heldin des Films, auf dem Stuhl neben dem Telefon in erregter
Erwartung des Anrufs aus Paris oder heiter ihren Kuchen verteidigend,
von dem Marina nur eine Gabel haben wollte. Das sind Blicke auf den
Alltag, die den eigenen wieder aufwärmen.
Der Film ist ein Plädoyer für
die Gefühle zueinander und das Wagnis. Tiflis ist die ideale Kulisse,
wo man das Leben greifen muss, gelebt wird es nicht für einen. Marina
ist übersprungen, die Verhältnisse wollten es nicht, dass sich
ihre Flügel entfalteten. Schlecht geht es ihr nicht, doch sie fühlt
zu wenig dabei. Aber Ada darf wieder raus. Sie ist die Verbündete
im Geist mit der Greisin. Nur die Verwirklichung muss in Paris stattfinden.
Man wünscht ihr ja da beste, sie soll sich die Zunge nicht verbrennen.
Kann leicht passieren, weiß ein Europäer aus eigener Anschauung
genug. Gut, aber ein Film muss enden, keine Diskussion, und nicht immer
mit dem Tod.
START: 6. Mai 2004
Willibald Spatz
21. April 2004