Wenn der Freund verzeiht, was kann dann
noch die Gesellschaft kratzen? Joe Simpson ist etwas Unglaubliches passiert:
Bei der Erstbesteigung des Siula Grande in Peru 1985 brach er sich ein
Bein und wurde von seinem Kollegen Simon Yates zurückgelassen, das
verbindende Seil schnitt der einfach durch, und Simpson stürzte in
eine Gletscherspalte. Aber er überlebte nicht nur, sondern schrieb
auch ein Buch über die Ereignisse damals, in dem er seinen Freund
entlastete, nicht nur, dass er selbst ebenso gehandelt hätte, nein,
diese Aktion habe beide Leben gerettet.
Knapp zwanzig Jahre später macht
Kevin Macdonald einen Film darüber. Er lädt Joe Simpson und Simon
Yates in ein Studio ein und lässt sie ihre Geschichte in allen Details
erzählen, dann fährt er zum Schicksalsberg, macht ein paar Panoramaaufnahmen
und stellt schließlich alles mit zwei Schauspielern in den französischen
Alpen nach.
Die Spannung des Films besteht weniger
darin, ob die Bergsteiger überleben, denn da sitzen sie ja, ruhig,
gefasst und erzählen von damals, meist sogar mit enthusiastischem
Leuchten im Gesicht – das Klettern haben sie nämlich bis jetzt noch
nicht eingestellt. Spannend ist, wie der Weg runter verlief. Die Mischung
aus Interview und Spielgeschehen ist ideal, einerseits das Gefühl
aufkommen zu lassen, unmittelbar dabei zu sein, andrerseits sich niemals
betrogen zu sehen um einen authentischen Eindruck. Die gigantischen Blicke
der Kamera die Steilwand hinauf flößen Respekt ein vor der körperlichen
Superleistung.
Der Film beschreibt die Ereignisse von
insgesamt sieben Tagen. Nach vier gelingt es Joe Simpson aus der Spalte
zu entkommen. Was folgt ist der ernüchternde und quälende Abstieg
mit dem unbrauchbaren Bein. Hier verändert sich die Optik des Films,
passt sich der des ums Überleben Kämpfenden an. Dadurch wird
aber nicht weniger Atem geraubt.
Was man erleben darf ist eine große
moderne Legende, die zur Parabel wird für Zwischenmenschlichkeit,
für das Überleben in der Einsamkeit, für die Leistungsfähigkeit
von Freundschaft. Und alles ist wahr, man hat es selbst gesehen.
START: 29. April 2004
Willibald Spatz
6. April 2004