Was muss einer machen, damit er alles darf?
Zwanzig Jahre schweigen im Sinne von nicht singen? André Heller
war still seit 1983. Um ihn war es nicht still. Er ist ein Begriff als
Aktionskünstler. Manchem fallen Zirkusshows und Varietéprogramme
ein. Oder golden rollende Fußbälle. Dass er auch mal gesungen
hat, wissen viele nicht. Sogar sein „eigener, zwölfjähriger“
Sohn nicht, wenn man dem glaubt, was er im lesenswerten Beiheft seines
aktuellen 3 CD Kompendiums schreibt. Demnach sei es genug gewesen, 1983,
„durchaus auf dem Höhepunkt einer sogenannten Karriere.“ Einer der
letzten aus dieser Zeit veröffentlichten Aufnahmen ist eine extrem
dubiose mit Wolfgang Ambros, die deutsche Version von Bob Dylans „Forever
Young“. Genug.
Was darf jetzt so einer? Xavier Naidoo,
Thomas D., Brian Eno, Hans Platzgumer und die Walkabouts die „Meister von
heute” nennen? Mit denen ihn bekannt machend, hat Chris Gelbmann nämlich
André Heller dazu gebracht, wieder ins Studio zu gehen. Mit denen.
Herausgekommen ist „Ruf und Echo“: drei CDs, deren erste sich den neuen
zwischen André Hellers „55. und 56. Lebensjahr“ entstandenen Kompositionen
widmet, deren zweite „die Umwandlungen, Neudeutungen und gelegentlichen
Deformationen alter Lieder“ durch die oben genannten Musiker enthält
und deren dritte schlicht eine Retrospektive auf sein bis 1983 immerhin
schon 17 Jahre langes musikalisches Schaffen darstellt.
Herr Heller ist nicht naiv. Er lebt in
seiner eigenen Welt. Das verstört. Zum ersten Mal konnte er auf sich
aufmerksam machen 1967 mit „Das war André Heller“, einem filmischen
Nachruf auf sich, mit 20 Jahren. Gesungen hat er damals Wiener Lieder,
mit Helmut Qualtinger, der schon ein paar Jahre darauf seinen Zugang verlor
zu Hellers Welten, sein Machen „Kitsch für Intellektuelle“ nannte.
Gerade diese Duette fehlen der dritten
CD. Wien mit einer alten Frau verglichen zu hören zum Beispiel. Und
auch Lieder wie das für Erika Pluhar und „Marilyn Monroe“, die im
Refrain aufgefordert wird „Flieg empor zu den Popcornwolken / der Atem
Gottes trocknet deinen Nagellack“. Dafür muss man ihn ertragen, wenn
er mit Ambros davon träumt, „Für immer jung“ zu sein, oder sein
fast schon manifestisches „A Zigeina mecht i sein“ zu einer Weltmusikrockblödelnummer
verunstaltet. Verdächtig.
Wenn einer sein eigenes Oeuvre so falsch
einschätzt, ist er vielleicht insgesamt schnell überschätzt.
Immerhin: „Die Kinder sind immer aus Wien“ und „Ich fordere“ – ohne Einschränkung
- „30 Varietés, 12 Gigolos, sechs fliegende Menschen auf dem Trapez
(...), stolze Casinogirls aus Mocambique und Trinidad“, denn „ich fühle
mich dort wohl, wo andere sich genieren.“ Das ist Zirkusmusik, die mitten
hineinwirft in die Arena.
Insgesamt viel ruhiger geht es auf den
anderen beiden CDs zu, die mit den Meistern von heute, von denen Xavier
Naidoo mit „Du du du“ überraschend gut wegkommt, während Thomas
D sich blamiert mit „Die wahren Abenteuer sind im Kopf und sind sie nicht
in deinem Kopf, dann sind sie nirgendwo“, und man würde es ihm übel
nehmen, hätten es die Waxolutionists nicht wieder gerade gebogen.
Den Ambrosausrutscher damals machen die Walkabouts gut, machen aber gleich
neue Schulden mit „Im Himmel“ nach einer Idee von Eric Clapton, wobei Hellers
Phantasien, wer dort zu treffen ist, jedem, dessen Herz noch nicht ausgetrocknet
ist, die Vorfreude potenzieren: Schubert, Schönberg, Zappa, Bröselmeier,
der heilige Josef Roth und der Tschechow und der Kronprinz Rudolf – habe
die Ehre. „Wissast, wer I bin / Wannst mi seg’n tät’st im Himmel?“
Musikalisch Akzente setzen Brian Eno und „der geheimnisumwitterte Terzi
Shogricht.“ Der eine, indem er „Gottes Lachen“ mit elektrischen Beats unterlegt,
der andere dadurch, dass er noch süßer klingt als die anderen.
„Und du kummst so über mi,/ Wia der vierzehnte Juli über Paris,
/Wann des Feuerwerk die Nacht seziert. / Und alle Vivat! Vivat! schrei’n
/ Und dann bin i ka Liliputaner mehr/ I wochs, i wochs, i wochs.“ Liebeslied.
Beim Durchhören aller drei CDs, knappe
drei Stunden, darf der Hörer bis zuletzt immer wieder um Ecken biegen,
hinter denen der neue Anblick fassungslos begeistert. Eine Skurrilität,
die erregt. Und legt sich der innere Trubel, wühlt sich die Erkenntnis
empor, dass intellektuell kein Schaden entsteht, lässt man sich in
diese Lieder fallen.
Willibald Spatz
27. Januar 2004