Prinzip Niederlage
Twaii in Augsburg am 21. Oktober 2005

Es ist ein trauriger Ort, an dem schon mancher Tag der Niederlage versoffen wurde: Die Stadiongaststätte des FC Augsburg. Der Brücke-Verein hatte ihn sich ausgesucht, um seine 20. Geburtstag zu feiern. Der Brücke-Verein hilft gestrauchelten Jugendlichen wieder auf die Beine. Zum Beispiel mit Hip-Hop. Vor jeder der in der Zeitung angekündigten großen Geburtstagsfestivalbands stehen jeweils zwei Buben da und rappen drei Lieder ihres Repertoires, zuerst die beiden von „Rap-Elite“, dann die „Philosophicker“, alles sehr auto-suggestiv, man müsse was tun, dann könne man es schaffen. Da ist was dran, und wenn man es oft genug vorsagt, funktioniert es auch irgendwann. Das dritte Duo „Probezeit“ darf erst kurz nach zwölf, nachdem der Mann von der Organisation die noch nicht Volljährigen heimgeschickt hat. Die sind politisch, haben einen Song namens „Katastrophen-Alarm“, der angereichert wird durch Nachrichtenmeldungen von der Ungemütlichkeit unserer Welt. Super. Überhaupt. Da haben Leute, auch in den beiden anderen Formationen, einen Weg gefunden sich zu artikulieren statt sich im Nihilismus zu ergehen. Hip-Hop ist demokratisch, man muss kein blödes Instrument lernen und sich auch nicht aufführen wie die anderen Arsch-Musiker sich wichtig nehmen. Man macht den Mund auf und stellt fest, dass man durchaus eigene Gedanken hat, der Erfahrungswirklichkeit mehr oder minder ausgegoren was entgegensetzen kann und sie nicht nur zu ertragen hat. Wir haben nicht der Zukunft der Popmusik zugehört an diesem Abend, aber Jugendlichen, die wesentlich weniger bescheuert sind, als wir es je waren.
Die Hauptbands, zu denen die Augsburger ins Sportheim getröpfelt waren, die länger spielen durften. Zuerst twaii, der Import aus Würzburg. Ein tolles Konzert, schön viel Energie, obwohl sich die Menschen nicht vortrauten zur Bühne, lieber den Sicherheitsabstand von sieben Metern hielten zu den Fremden. Die Silke sagt, das Lied „Heimweh“ handle von Würzburg, zwei Fans freuen sich, aber leider Unsinn: twaii haben hier in Augsburg zu ihrem Platz gefunden. In Augsburg soll man Lieder von der Sehnsucht und vom Auseinandergehen singen, in Augsburg klingen sie erst richtig, durch den Hauch der Renaissance verstärkt, und egal, dass es hier mal einen Roy Black gab, und der Fußballverein nicht in die zweite Liga aufsteigt. Verlieren ist in Augsburg Prinzip, jeder Verlust macht den Augsburger reicher und schöner.
Twaii weg, dafür „Die Herren Polaris“ drauf. Das sind die Gewinner des traditionsreichen Augsburger „Band-des Jahres“-Wettbewerbs, aber Gewinner kann man an einem Ort der Niederlage nicht brauchen. Die Herren machen ihre Sache gut, keine Frage, ein bisschen Tocotronic, schöne, originelle deutsche Texte – ich scheiß auf deutsche Texte – doch wer bitte, außer den vier Mädchen, die so ekstatisch tanzen vor ihnen, braucht diese Musik noch? Abstürzen wie ein Blei-Zeppelin werden die. Hoffentlich nützt ihnen diese Prognose so viel, wie einer anderen Band vor etwas über dreißig Jahren. Wobei man ja heutzutage, da Schmetterlingsflügel Hurrikane auslösen können, vorsichtig sein sollte mit solchen Vorhersagen, die sich dann kausal nur schwer bestätigen lassen.
Obwohl es an dem Abend nur Hasen-Bräu Leicht-Bier gab, dessen Vollversion schon vor Ort einen erbärmlichen Ruf hat, hatten die dritten des Abends, die aus Österreich angereisten „Aroma“ einen sauberen Surri zusammengebracht, was ihre Musik nicht leiden ließ. Sie nennen das Glam-Rock, und sie lieben den Bombast, bleiben aber auf der Erde, hauen rein, wenn es sein muss, sagen wir, Robbie Williams schriebe einmal ein paar Songs für Fugazi. Der Sänger kündigt den Bassisten als „unseren Youngster aus Hannover“ an. Der muss oft zwischen Gitarre und Bass wechseln und vergisst dabei einmal, dass er den Gitarrengurt noch nicht an seinem jungen Hannoveraner Körper befestigt hat, woraufhin ihm die Frau straight zu Boden fällt. Das nächste Lied wird mit „schon wieder ein Hit – Scheiße“ angekündigt. Auch diese Leckmichamarschigkeit passt hier gut her.
Jetzt wärs eins, man könnte froher Dinge nach Hause kehren, griffe nicht noch etwas, was ebenfalls zum Prinzip gehört: Selten ist ein Tag restlos perfekt in Augsburg. Der Fußballclub hat eben an diesem Abend auswärts 1:3 gegen Hoffenheim gesiegt. Wahrscheinlich werden sie jetzt aufsteigen, wahrscheinlich wir bald alles nicht mehr so sein, wie es einmal war.

Willibald Spatz
26. Oktober 2005

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