Es ist egal, aber
Artenschutz ist wichtig, doch nicht zum Überleben

Eigentlich weiß man nicht genau, um was es geht. Man weiß, dass es wahrscheinlich ziemlich schlimm ist. Seit die Menschen sich hier auf diesem Planeten aufführen wie ein Schwein im Trüffelladen, seitdem schauen sie auch wieder genau hin und – großes Naturwunder – die Zahl der Amphibienarten ist von 1985 bis 2001 um ein Drittel gestiegen. Das heißt, gestiegen ist nur die Zahl der Arten, die beschrieben und bekannt sind, in Wirklichkeit ist die Anzahl, die die Erde noch bewohnen gewaltig gesunken. Man weiß auch das nicht genau, weil man viel Fläche kaputt macht, von der man nur schätzen kann, wieviel unbeschriebenes Tier sich dort befindet, aber man geht davon aus, dass täglich 70 bis 150 Arten für immer verschwinden, nicht einmal eine Narbe auf dem Gesicht der Evolution hinterlassen. Wir kennen 1,4 Millionen Tier- und Pflanzenarten, es könnten geschätzt 10 Millionen sein. Wenn wir jetzt aufhören zu suchen, hätten wir in 168 Jahren alles vernichtet, was wir noch nicht kennen.
Man könnte jetzt sagen: Das ist das Spiel des Lebens, der Stärkere siegt und verdrängt die anderen oder macht sie sich untertan, und im Moment ist halt der Mensch der Stärkste. Was soll er selbst dagegen tun? Tatsache ist, dass wir uns zurzeit zu Tode siegen. Zwar sinkt das Bevölkerungswachstum mittlerweile wieder, doch wachsen wir immer noch, und wenn es so weitergeht, schafft es die Erde in der Mitte dieses Jahrhunderts eventuell noch, uns gerade alle zu ernähren – mit Getreide. Die Fachleute rechnen mit dem so genannten „ökologischen Fußabdruck“. Das ist die Fläche, die ein Mensch braucht, um seine grundlegenden Bedürfnisse wie essen, trinken, wohnen, erholen, arbeiten zu erledigen. Ein Mensch in einem armen Land braucht relativ wenig Platz, weil er Reis oder Getreide zu sich nimmt, aber einer hier oder in Amerika isst Fleisch und dafür muss man wiederum das geerntete Gut zur Fütterung der Tiere verwenden, die durch den Vorgang, den man Leben nennt, eine Menge in sie gesteckt Energie einfach verbrauchen, ohne dass daraus Schnitzel für uns wird. Kurz gesagt, äßen im Jahr 2050 alle so wie wir, bräuchten wir genau vier Erden. Werden wir bis dahin aber nicht haben, muss uns was einfallen.
Dadurch dass der Mensch einfach mehr Platz braucht, drängt er die anderen Arten zurück. Es reicht nicht, durch Naturschutzprogramme bestimmte Flächen zu schonen, denn Vielfalt braucht Platz. In einem Gebiet, das ein Zehntel des ursprünglichen Raums einnimmt, können nur die Hälfte der Arten leben, da kann die menschliche Hand noch so viel nachhelfen und hegen, mehr geht nicht. Der ökonomische Schaden, den das Artensterben verursacht, ist vergleichsweise gering, auch die Umweltschäden, die der Humanbevölkerung dadurch entstehen, bekommt man technisch gut in den Griff. Wir machen unsere Welt ärmer, könnten aber abgesehen davon ruhig weiterleben. Der amerikanische Soziobiologe Edward O. Wilson glaubt, dass der Mensch schlicht nicht dazu gemacht ist, über seinen Tellerrand hinauszudenken: „Von Natur aus neigen wir dazu, keine Gedanken an Möglichkeiten oder Gefahren zu verschwenden, die noch in weiter Ferne liegen – eine Haltung die man gemeinhin als gesunden Menschenverstand bezeichnet. Die langfristige Perspektive, die vielleicht auch entfernten Nachfahren das Überleben ermöglicht hätte, erfordert eine Vision und einen über die nächsten Angehörigen hinausgehenden Altruismus,die instinktiv schwer aufzubringen sind.“ Man könnte sagen, der Grund für den unheimlichen Erfolg, den die menschliche Art in der Evolution hat, liege im Desinteresse für alles, was sie nicht unmittelbar betrifft – bedingungsloser Egoismus. Bis jetzt ging das äußerst erfolgreich gut, ab jetzt müssen wir anfangen, uns gegenseitig anzufressen oder umzudenken: „Werte für die nahe Zukunft des eigenen Stammes oder des eigenen Landes auszuwählen ist relativ einfach“, erklärt Wilson. „Werte für die ferne Zukunft des gesamten Planeten zu definieren, ist ebenfalls relativ einfach – zumindest in der Theorie. Beide Visionen miteinander in Einklang zu bringen, um eine allgemein gültige Umweltethik zu entwickeln, ist dagegen äußerst schwierig. Dennoch bleibt uns nichts anderes übrig, denn nur eine universelle Umweltethik kann uns den Engpass überwinden helfen, den wir so töricht selbst herbeigeführt haben.“
Freilich ist einer, der zuerst daran dankt, dass die Erde ein bewahrenswerter Ort ist und dann erst, wie er sich einen Job verschaffen kann, der ihn fett und reich macht, heutzutage der Dumme. Freilich kann man auch weiterhin über die ständig schleichende Zunahme von Unwetterkatastrophen, Allergien bei Jugendlichen und die Abnahme der Grünflächen um unsere Städte hinwegsehen, weil sich alles so langsam und über Jahre verändert. Oder man kann einsehen, dass der Mensch, schon bevor er in die kritische Phase gerät, anders denken gelernt haben muss. Daniela Freyer von der Tierschutzorganisation „Pro Wildlife“ sagt, wie einfach sich jeder sofort engagieren kann: „Es gibt Kampagnen, so wie unsere letzte gegen Delfinjagd in Japan, an der man sich mit Protestbriefen und Unterschriftenaktionen beteiligen kann. Wichtig ist auch, keine Papageien oder Schlangen als Haustiere zu halten.“ Das sei nämlich der Weg, mit dem man sogar in Mitteleuropa die tropische Tierwelt schädigen könne, ohne hinzufahren. „Es wäre auch gut, wenn die Politik dem Tierschutz mehr Aufmerksamkeit schenken könnte.“ Neben „Pro Wildlife“ gibt es noch eine Reihe weiterer Organisationen, die sich jeweils bestimmten Anliegen gewidmet haben und über jede Unterstützung dankbar sind.
Wir sind die kosmetischen Chirurgen dieses Planeten, in unserer Hand liegt es, die Erde zu verunstalten oder sie unseren Nachkommen mit einem Strahlen entgegen lächeln zu lassen.

Willibald Spatz
18. Oktober 2005

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