Macht der Zuschauer das Programm?
Fußballberichterstattung EM Meisterschaft 2004

Die Deutschen sind sowieso zu kritisch. Die wissen sowieso immer genau, was zu tun gewesen wäre. Wenn sie mit unbewegter Miene die Wiederholungen und Zeitlupen sehen, ist alles klar wie Sonnenstrahl, das Versagen offensichtlich, da hätte man was machen können. Der Mann ist überbezahlt unterqualifiziert an seinem Platz. Fußball ist Leistung, ist Laufen, da schauen Millionen zu, die sofort merken, wenn sie betrogen werden um Leistung. Es ist erstens Sommer, zweitens kein Jahrhundert-, die Leute müssen trotzdem arbeiten, da ist die einzige Aufregung, die es noch gibt, das allabendliche Fernsehbild. Bei dem Wetter ist Grillen so eine Sache, lohnt sich nicht, Salat zu machen, zu unsicher. Ist es da ungewöhnlich, vom Fußballturnier etwas zu wollen? Ist es da unsportlich, dazu Bier zu trinken? Ist es da kleinlich, darauf hinzuweisen, dass die ihre Stadien gar nicht bauen könnten ohne den eigenen Beitrag zur Volkswirtschaft zum Beispiel heute? Ist es da altklug, denen auf dem Bildschirm genau sagen zu können, was sie falsch machen und, wenn sie heute Abend die Rückfahrt gebucht bekommen, darauf hinzuweisen, dass man vom Sessel aus es zwar nicht besser gespielt, aber doch besser gewusst hätte?
Ganz anders die Italiener vorm Fernseher. Die leiden da mit, fast als ob sie selbst auf den Platz müssten, als ob der zugegeben blinde Schiedsrichter sie selbst verwarnt hätte. Die nutzen gar nicht die ganze Spielzeit, sondern hauen wütend das Geld auf den Tresen und verschwinden fünf Minuten vor Abpfiff heulend auf der Straße. Die zerstreiten sich reihenweise mit ihren mitgebrachten Frauen statt Franz Beckenbauers Analyse zuzuhören und lernen so gar nichts fürs nächste Mal. Eigenartig, aber auch interessant. Mal schauen, wo der nächste Portugiese ist am Donnerstag.

Willibald Spatz
23. Juni 2004

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