WIR

Eigentlich geht es einen ja gar nichts an. Eigentlich könnte es an einem ja vorbei gehen wie nichts. Wir gewinnen, diese verlieren. Aber trotzdem. Eins zu Eins, das ist nichts, das ist verloren. Ja, was sagst du, schämt sich da keiner? „Wir hatten es selbst in der Hand. Ich weiß nicht: Haben wir kein Glück, oder ist es Schicksal?“, sagte Karl Auer nach dem Remis gegen Hertha BSC, das den vierten Abstieg der Löwen in die zweite Liga praktisch besiegelte. Schicksal, auch recht.  – Wie wär’s dazu mal mit ein bisschen Anstrengung und Willen? Was man nicht im Kopf hat, sollte man in den Beinen haben. Ein  katastrophaler Samstag für uns, freilich auch ein unbedeutender für die Menschheit. Aber es ist okay, so bleibt es spannend, sonst immer so im Mittelfeld rumhängen, jetzt müsst ihr wieder nach oben. Man will nichts sagen, eins zu null, schön gespielt, dann der Ausgleich, unsretwegen, aber in der 89. das Geschenk Gottes ausschlagen, den Elfmeter vom Präsentierteller schießen, dafür können wir wirklich nichts, tut uns Leid. „Ich bin ein Typ mit Charakter. Ich habe gedacht, ich mache ihn rein.“, meinte der Kioyo, der verantwortliche Stürmer, meinte es halt leider nur. Da muss ich halt mal hin, die anderen kochen auch nur mit Wasser. Ein Ball ist keine Porzellanpuppe, den darf man berühren. Da müssen nächste Saison wohl ein paar extra Trainingsstunden her. Was anderes wird nicht helfen.
Selten, dass einem das eigene Unvermögen so unter die Nase gerieben wird wie von diesem Tag. Statt friedlich zu Ende zu gehen, haut er noch eine unangenehme Überraschung auf den Wohnzimmertisch: Max Achter, die Ukraine Erster beim Grand Prix. Das geht halt nun wirklich nicht mehr. Der Mann ist einerseits noch jung und hat Abitur, dem finden wir noch was im Leben, dessen Ofen ist noch lang nicht aus. Muss ja nicht jeder eine Sängerkarriere durchziehen können. Aber gut, unser stilles Wissen um unsere unverrückbare Größe andrerseits lässt uns dies locker schlucken. Wir können was einstecken, wir vertragen noch was. Überhaupt wären diese ehemaligen Ostblockstaaten heute lange nicht dort, wo sie durch eine Telefonabstimmung meinen zu sein, hätte es Beethoven und Goethe nicht gegeben. Bitte.
Was ist denn zweitens mit dem Bier? Und der Spitzentechnologie? Oder die Autos? Die macht uns so schnell keiner nach, geschweige denn vor. Das ist halt ein kleines Formtief bei ein paar wenigen von uns. Die fangen sich auch wieder. Wäre ja gelacht. Außerdem mal davon gehört, dass Scheitern auch Chance sein kann? Bei der Regierung zur Zeit wäre jedes andere Land sicher schon ganz geschlossen. Daran besteht gar kein Zweifel. Wenn wir im Westen den Kommunismus gehabt hätten, hätte er auch funktioniert. So gut sind wir. Wer sonst kann das noch von sich behaupten? Bitte.

Willibald Spatz
16. Mai 2004
 

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