Ein Volksstück. Das heißt Eckbank,
Herrgott darüber und Tapete. Zunächst Zeugen eines Leichenschmauses:
Sattler Bitterwolf nimmt Abschied von seiner Frau und lässt Braten
servieren von seinem Dienstmädchen Anni, fordert die Gäste auf
zuzugreifen, damit die Verstorbene wenigstens „eine schöne Leicht“
habe. Lachen. Die Schwägerin zieht ein, nicht nur um mit dem langhaarigen
Sohn Hubert ein Automatengeschäft aufzumachen, sondern auch um den
Witwer zu packen. Der aber bekommt die Anni wegen seines scheinbaren Geldes.
Dank seiner Zeitlosigkeit lässt sich
das Stück mit Musik von Deep Purple mühelos in die 70er Jahre
verpflanzen, als noch mit D-Mark bezahlt wurde. Die Schauspieler sind angehalten
einen virtuellen, bayerischartigen Dialekt zu sprechen und sich so zu benehmen,
wie sich Schauspieler auf volkstümlichen Bühnen aufführen.
Das sieht aus wie echt, ist es aber nicht, da ist noch was in dieser Runde,
etwas das von außen kommt, das nicht zu beschreiben ist, das die
Gemütlichkeit eliminiert, bevor sie sich materialisieren kann. Wie
im Albtraum, die Kinder an die Scheibe klopfen und der Schnee draußen
fällt. Mystisch-schöner Horror.
Thomas Ostermeier bastelt hier eine schöne
Mogelpackung. Alles wirkt original beim Auftreffen auf die Netzhaut und
entfaltet sich zu voller Größe erst im Gehirn, die urmenschliche
Sehnsucht nach Geborgenheit berührend, die dort befriedigt wird, wo
man es nicht unbedingt als erstes vermutet hätte: im Theater.
Willibald Spatz
26. Februar 2004