Dem Zappelphilipp ist doch nichts zuzutrauen,
das heißt Paul Herwig schon, aber nicht Don Karlos, den er spielt
und hüpfen lässt. „23 Jahre und nichts für die Unsterblichkeit
getan“, und es wird so auch nicht mehr viel dazu kommen. Kein Wunder, dass
Hans Kremer, sein Vater Philipp, ihm nur viel zutraut, aber nichts anvertraut.
Er selbst ist ein müder Schatten seines Vaters, Karls V., wiederum,
verbittert vom Umgebensein von grauen Intriganten und Speichelleckern.
Viel ist hier zwischenmenschlich kaputt.
Sebastian Nüblings Inszenierung packt
genau da an und zieht die Gräben tiefer. Es begeistert, wie hier von
Anfang an die Situation akribisch erfasst wird, so wollte man die Charaktere
schon immer seziert sehen. Keine Haltung ist mehr natürlich, sondern
zeigt die nach außen gestülpte Seele: Der in seinem Pullover
ringende Karlos, von dem zunächst nur die kahle Schädeldecke
zu sehen ist, der sich so an Posa wirft, dass er aussieht wie ein Penisanwuchs
von diesem. Das sind klare Bilder, die sind gesucht und gefunden und irgendwann
ein Problem, vielleicht aber auch nur die Physis der Zuschauer, denn welcher
Körper kann über dreieinhalb Stunden bequem bei einem so hohen
Adrenalinspiegel gehalten werden? Das auf der Bühne wird nie schlecht,
aber verstanden.
Ja, aufregend ist das, was hier mit einem
alten Stück veranstaltet wird, das von alten Monarchien und Problemen
erzählt, so verstaubt, dass sie in ein Museum gesteckt gehören.
Die Bühne von Muriel Gerstner simuliert eines: Würdevoll schwere
Vorhänge, Krone im Glaskasten, ein langer Sarg durch die Bühnenmitte,
vorne blickt der Totenschädel Karls V. heraus. Die Personen selbst
sind Ausstellungsstücke, ihre verzweifelten Kraftakte werden vom Museumswärter
Lerma als Marotten geduldet. Die Alarmanlage geht los, als Karlos und Alba
zwei Schwerter greifen, aufeinander losgehen wollen, aber keine Panik,
das Piepsen wird gemütlich abgestellt und die in den Boden gerammten
Schwerter würden an ihren Platz zurückgebracht, würden sie
nicht feststecken. Aber da helfen die reizenden Hofdamen, die Kissen reinschmeißen,
um das Zimmer herzurichten, in dem Karlos hereingefallen berührt wird
wie in Draculas Schloss, was übrigens eines von mehreren unnötigen,
aber schönen Horrorfilmzitaten ist. Die Hofdamen, die immer um Prinzessin
Eboli sind, die Matthias Bundschuh ist, der seine Sache so gut macht, dass
es wie die logischste Sache erscheint, so zu besetzen: Seine Prinzessin
ist hilflos und zu bemitleiden, aber nie albern tuntig.
Dieser Don Karlos liegt leicht
neben dem Originalstück, er ist ein lautes Auslachen von Mitmenschen,
zu dem man das Recht haben will, wenigstens hier im Theater, hat man zwar
auch noch nichts wirklich für die Unsterblichkeit getan, hat es aber
auch noch nie vorgehabt.
Willibald Spatz
4. März 2004