Heinrich Blue
Faust I am Augsburger Stadttheater

Die Punkband Bad Religion hat ein Logo, auf dem ein Kreuz auf einem Verbotsschild durchgestrichen ist. Wieso nicht ein T-Shirt der Combo einem Mephisto anziehen, der Faust entgegentritt? Faust I enthält alles zwischen Himmel und Hölle. Schwer alles in eine Inszenierung zu packen, doch viel ist möglich. So ist alles erlaubt, nur nicht nichts oder wenig.
Holger Schultze, der Regisseur des Augsburger Faust, tut so, als dürfe er das Theater in jeder Szene neu erfinden: Prolog im Himmel als Schatten-, Volk beim Osterspaziergang als Glockenspiel, zugerichtet mit Blue Notes von Jazzobermeister Wolfgang Lackerschmid, denn nur weil es keinen Grund dafür gibt, muss man nichts auslassen. Faust darf in seiner ersten Begegnung mit Mephisto einmal locker eine Zigarette rauchen und wirkt wie der normalste Partygast der Welt, darauf in derselben Szene muss er nach Abschluss der Wette rumhampeln wie in der Puppenkiste. Kein Wunder, dass Thomas Schneider sich zweieinhalb Stunden vergeblich abmüht, daraus eine durchgehende Figur zu basteln. Soll er auch gar nicht, denn der Faust ist nur der rote Faden, den Schultze durch seine eigene Bühnenwelt wirft, nötig ist er nicht. Überraschend, dass es dem Mephisto Thomas Peters stellenweise gelingt, sich seiner Entmündigung als Schauspieler zu entziehen, wenn er zum Beispiel auf Fausts Frage „Die Hölle selbst hat ihre Rechte?“, lässig abwinkt. Und auch die Klage darüber, dass Margarete ihre Kette dem Pfarrer gegeben hat, die er albern rauchumhüllt aus einem Loch in der Bühnenmitte plärrt, bringt er mit einem Funken Würde hinter sich. Margarete. Sicher hat Goethe damit nicht eine der ausgefeiltesten Frauengestalten der deutschen Theaterliteratur entworfen, aber der blonden Katharina Quast auch noch ein Blümchenkleid anzuziehen, lässt sie chancenlos.
Bei den Verbindungsstudenten in Auerbachs Keller wünscht man sich, nie wieder Betrunkene in einem Stück erleben zu müssen, in der Valentinszene ist es Faust, aber einem egal, denn der eigentliche Schmerz kommt durch Mephisto, der dazu auf der E-Gitarre nicht „Sympathy for the Devil“, sondern „Satisfaction“ spielt – jetzt übrigens als Verführer im Netzhemd. Die Walpurgisnacht mit viel Plastikgeschlechtsteilen ist so prüde, dass kurz der Eindruck entsteht, es sei hier der Versuch einer Selbstpersiflage unternommen, ein Eindruck, der schnell der Hoffnung im Guten weicht: Bischof im Tanga, brennendes Kreuz, Gretchen barbusig daran. Au weh.
Die Aufführung ist sehr drehbühnenverliebt und – das muss man sagen – schafft so Atmosphäre. Die Kammer Margaretes zunächst weit weg und geräumig, wird zum Publikum hergedreht zum engen Verlies und spiegelt das Innere der Person treffend wieder. Auch die Hexenküche, in der Faust solange in einem Schlammloch von Brühe übergossen wird, bis er es genießt, beeindruckt.
Zusammenfassend hat Holger Schultze oft Bilder gefunden, die den Faust zeitgemäß in Szene setzen und die Textvorlage dennoch ernst nehmen. Langweilig wird es nie, indem bei jeder neuen Szene spekuliert werden kann, ob sie ge- oder misslingt. Trotzdem darf man von einer so aufwendigen Inszenierung mehr Struktur und durchgehaltenes Konzept erwarten, wir sind schließlich nicht auf einem Punkkonzert.
 

Willibald Spatz
14. Dezember 2003

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