Die Punkband Bad Religion hat ein Logo,
auf dem ein Kreuz auf einem Verbotsschild durchgestrichen ist. Wieso nicht
ein T-Shirt der Combo einem Mephisto anziehen, der Faust entgegentritt?
Faust I enthält alles zwischen Himmel und Hölle. Schwer alles
in eine Inszenierung zu packen, doch viel ist möglich. So ist alles
erlaubt, nur nicht nichts oder wenig.
Holger Schultze, der Regisseur des Augsburger
Faust, tut so, als dürfe er das Theater in jeder Szene neu erfinden:
Prolog im Himmel als Schatten-, Volk beim Osterspaziergang als Glockenspiel,
zugerichtet mit Blue Notes von Jazzobermeister Wolfgang Lackerschmid, denn
nur weil es keinen Grund dafür gibt, muss man nichts auslassen. Faust
darf in seiner ersten Begegnung mit Mephisto einmal locker eine Zigarette
rauchen und wirkt wie der normalste Partygast der Welt, darauf in derselben
Szene muss er nach Abschluss der Wette rumhampeln wie in der Puppenkiste.
Kein Wunder, dass Thomas Schneider sich zweieinhalb Stunden vergeblich
abmüht, daraus eine durchgehende Figur zu basteln. Soll er auch gar
nicht, denn der Faust ist nur der rote Faden, den Schultze durch seine
eigene Bühnenwelt wirft, nötig ist er nicht. Überraschend,
dass es dem Mephisto Thomas Peters stellenweise gelingt, sich seiner Entmündigung
als Schauspieler zu entziehen, wenn er zum Beispiel auf Fausts Frage „Die
Hölle selbst hat ihre Rechte?“, lässig abwinkt. Und auch die
Klage darüber, dass Margarete ihre Kette dem Pfarrer gegeben hat,
die er albern rauchumhüllt aus einem Loch in der Bühnenmitte
plärrt, bringt er mit einem Funken Würde hinter sich. Margarete.
Sicher hat Goethe damit nicht eine der ausgefeiltesten Frauengestalten
der deutschen Theaterliteratur entworfen, aber der blonden Katharina Quast
auch noch ein Blümchenkleid anzuziehen, lässt sie chancenlos.
Bei den Verbindungsstudenten in Auerbachs
Keller wünscht man sich, nie wieder Betrunkene in einem Stück
erleben zu müssen, in der Valentinszene ist es Faust, aber einem egal,
denn der eigentliche Schmerz kommt durch Mephisto, der dazu auf der E-Gitarre
nicht „Sympathy for the Devil“, sondern „Satisfaction“ spielt – jetzt übrigens
als Verführer im Netzhemd. Die Walpurgisnacht mit viel Plastikgeschlechtsteilen
ist so prüde, dass kurz der Eindruck entsteht, es sei hier der Versuch
einer Selbstpersiflage unternommen, ein Eindruck, der schnell der Hoffnung
im Guten weicht: Bischof im Tanga, brennendes Kreuz, Gretchen barbusig
daran. Au weh.
Die Aufführung ist sehr drehbühnenverliebt
und – das muss man sagen – schafft so Atmosphäre. Die Kammer Margaretes
zunächst weit weg und geräumig, wird zum Publikum hergedreht
zum engen Verlies und spiegelt das Innere der Person treffend wieder. Auch
die Hexenküche, in der Faust solange in einem Schlammloch von Brühe
übergossen wird, bis er es genießt, beeindruckt.
Zusammenfassend hat Holger Schultze oft
Bilder gefunden, die den Faust zeitgemäß in Szene setzen und
die Textvorlage dennoch ernst nehmen. Langweilig wird es nie, indem bei
jeder neuen Szene spekuliert werden kann, ob sie ge- oder misslingt. Trotzdem
darf man von einer so aufwendigen Inszenierung mehr Struktur und durchgehaltenes
Konzept erwarten, wir sind schließlich nicht auf einem Punkkonzert.
Willibald Spatz
14. Dezember 2003