„Bemühen Sie sich nicht, ich weiß
schon , wie spät es ist“, sagt der Mann, nachdem er die Tür des
Werkraums geschlossen hat und dann noch mal nach draußen eilt, um
noch einen Strauß Blumen ins Zimmer zu holen. Endlich, einige Minuten
nach acht, stellt er sich als Ippolit vor. Ein nicht sofort sympathischer
Mann. Ein Bekannter von ihm, Raguschin, habe ihm verraten, dass Schwindsüchtige
wie er oft sehr schnell sterben, innerhalb eines Monats. Ippolit ist nun
überzeugt, dass ihm nur noch zwei Wochen bleiben, wahrscheinlicher
aber, dass er abtritt, sobald er sich schlafen legt. Deshalb habe er sich
gestern die ganze Nacht hingesetzt, um eine Erklärung zu schreiben
und gehe auch heute noch nicht ins Bett, um sich mit den Zuschauern zu
treffen und sie ihnen vorzulesen.
Mit denen ist dieser Sonderbare in ständiger
Konversation, braucht eine Münze aus dem Publikum, als er sich doch
wieder nicht sicher ist, ob er vorlesen soll. Nachdem er es tut, muss er
sich vergewissern, wie es ankommt. Fast ein wenig unangenehm wird die Ehre,
die einem da zuteil wird. Darf man ihn dann auch noch beobachten, wie er
zu einer Sauerstoffflasche eilt und gierig ruhig ein paar Züge nimmt
oder ein Bild des vom Kreuz abgenommenen Jesus aufhängt, dann entstehen
Momente der Stille, die auch draußen im echten Leben peinlich wären,
obwohl er einen Kassettenrekorder angemacht hat mit „It’s A Wonderful Life“
von Black. Ein zweifelhaftes Vergnügen, da man nie sicher ist, ob
man unbeschadet davon kommt.
Wie in vielen Werken der russischen Literatur
des 19 Jahrhunderts, so auch bei Dostojewski spielt die Frage nach dem
überflüssigen Menschen eine Rolle. Der Ippolit ist eine Nebenfigur
in „Der Idiot“, die Regisseur Boris von Poser und Darsteller Matthias Bundschuh
sich vorgenommen haben, in einem einstündigen Monolog, abgesondert
von der übrigen Handlung, auf die Bühne zu stellen. Das gelingt
ihnen so überzeugend, dass man sich fragt, als er davon er erzählt,
wie er einen Nachbar am Tag, an dem dessen Kind verstorben ist, wegen seiner
Armut verhöhnt, dass man sich tatsächlich fragt, ob es nicht
doch besser wäre, wenn dieser Ippolit bald stürbe. In diese selbe
Falle wollte auch Dostojewski locken und triumphierte, wenn er es schaffte.
Man ist froh, wenn es vorbei ist, dass
es nur Theater war, und man ist noch froher, dass man dabei war bei diesem
Theater.
Willibald Spatz
13. Dezember 2003