Haha Deutschland
KEIN SCHÖNER LAND in den Kammerspielen

Der Deutsche ist vierundzwanzig Stunden am Tag deutsch. Nur mit Atmen ist er genauso viel beschäftigt. Franz Wittenbrinks neuer Liederabend in den Kammerspielen heißt KEIN SCHÖNER LAND. Der Vorhang öffnet sich. Zu sehen ist eine Bierzelttischlandschaft. Die deutsche Landschaft ist eine Bierbanklandschaft. Links saß ein Toni Berger als Alter und trank Bier. Inzwischen ist er tot. Jean-Pierre Cornu hat seine Rolle übernommen. Der Enkel ist Christian Fiedel. Er hält den Opa davon ab, den jungen Weibern nachzugeilen. Er ist zu alt dafür. Aber er würde gern noch wollen.
Die Band ist zur Mitte im Boden versenkt. Im Verlauf der Lieder fährt sie hoch auf einem Podest. Die Sänger auf den Bänken singen sich gegenseitig ihre Songs zu. Sie scheinen damit sagen zu wollen, dass sie mit dem Deutschsein vor allem nicht viel anfangen können. Singen halt. Über Bierzeltbänke hinweg.
Passend zur geplatzten Quote kommen die Deutschliedspezialisten nach und nach alle zu Wort: zum Beispiel Franz Schubert, Rammstein, Freddy Quinn, Wir sind Helden, Funny van Dannen. Das Sitzen endet mit Berivan Kaya: Sie steht auf und singt das Deutschlandlied - türkisch. Auch das gehört zur Realität. Mittlerweile. Oder Armin Petras würde sagen: "Wenn ich das [mit der Gruppe] nicht mehr tun kann, macht es mir auch nichts aus, Döner zu verkaufen." Auch Exilexperte Tom "In the morning I'll be gone" Waits ist fest dabei. Sein TOM TRAUBERT'S BLUES darf sogar mit dem BRUNNEN VOR DEM TORE fusionieren.
Fremdes Material wird integriert: STIR IT UP wird zu HÄRTER SEIN und saublöd. PAPA WAS A ROLLING STONE heißt neu auf Deutsch: "Papa will da nicht mehr wohn - es war der 9. November." Für diese Übersetzung ist der Sänger Stefan Gwildis verantwortlich. Er ist berühmt für Soul-Klassiker auf Deutsch. Wenn wer klatscht, spielt Wittenbrink Zugaben, solange bis der Applaus bricht.
Nicht viel Neues, nicht viel Erkenntnisbringendes einen Abend lang. Was soll's? Was soll das? Passt halt gerade irgendwie in die Zeit. Passt schon. Tut nicht weh. Ist so witzig wie Atmen.

Willibald Spatz
12. Februar 2005

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