Die papierne Chance
Klaras Verhältnisse im Neuen Haus der Münchner Kammerspiele

Arbeitslos. Kann ja auch eine Chance sein. Sich zurücklehnen und das gerade geführte Leben aus Distanz durch den Kopf gehen lassen. Und dann zupacken am passenden Punkt, im richtigen Winkel und die Welt vom eigenen, kleinen Standpunkt aus geraderücken.
So denkt Klara im Stück von Dea Loher, lässt ihren Job als Werbetexterin fallen und übersieht, dass alles verzahnt ist, verzahnt, aber nicht gleichzeitig ein- und ausatmet. Zu einer Chance nämlich gehören immer mindestens und im besten Fall zwei: Einer, der sie greift und einer, der sie bietet. Wie beim Geld. Das zum Beispiel könnte von Schwager Gottfried kommen, der seinen Job bei einer Bank hat, aber dazu braucht man Sicherheit, mehr als sie Klaras Freund Tomas hat. Lange, stumme Blicke in die Augen. Dann geht  Michael Neuenschwander, der Gottfried, zur papiernen Wand, zeichnet ein Fenster und entdeckt beim Blick hinaus Fixende.
So entstehen Räume, zumindest auf Robert Schweers Bühne. Nach dem Ende jeder Szene wird ein Dia des nächsten Handlungsorts gezeigt und alle Mitspieler kommen raus, reißen das alte Papier weg und malen schnell, solange die Musik läuft, Gegenstände nach, bis das Licht wieder angeht. Solange ziehen alle zusammen am selben Strang. Dann sind wenige Umrisse und mehr Papierhaufen der neue Spielplatz. Eine gelungene Idee, die aber wenig variiert wird: Anstatt das Gasthaus nachzuzeichnen, in dem sich Klara und Gottfried verabredet haben,  wird nur „Heute Ruhetag“ geschrieben. Kann man nichts machen, wenn man sich nicht auskennt in der Gegend rund ums Lindwurmstüberl, muss man heim.
Klaras Weg, an Geld zu kommen, führt in die Klinik, sich krank machen lassen und wieder gesund, der Welt so auch noch was Gutes tun. Und als der Arzt Georg ihr rät, das zu lassen, den Körper zu schonen, weil er ihn zu etwas anderem gerne haben würde, ist klar, dass die unschuldige Klara, die Caroline Ebner ist, sich noch ganz schön umschauen wird in der Realität. Obwohl sie die einzige ist, die was in Bewegung setzen will, tut sich bei den anderen schnell was mit: Der Freund Tomas betrügt sie seit langem mit der pensionierten Biologielehrerin Elisabeth, Gottfried verlässt seine Frau Irene, die ihre Neigung zu Frauen allgemein, zu Elisabeth im Besondern entdeckt, Georg findet im zu dritt geteilten Bett mit Klara seine Liebe zu Tomas und nur Klaras Weg führt nach unten, denn sie hat Ideale, denkt sie wenigstens.
Viel Entwicklung also in den Personen und die soll man sehen in der Inszenierung von Stephan Rottkamp, der hier in den Kammerspielen nicht nur vom großen ins Neue Haus marschiert, sondern auch von Miss Sara zu Klara. Da haben alle Perücken auf, die runter gezogen werden, sobald das wahre, veränderte Gesicht vorscheint.
Wenige Mittel, auf die immer zurückgegriffen wird, geben ein schönes Konzept, das nur selten langweilig wird und mehr zeigt als nur äußere Handlung. Das ist gut, hätte aber stellenweise noch mehr werden können. Aber was will man verlangen? Ein Stück, das auf dem Papier etwas an seiner Vorhersehbarkeit leidet wird hier souverän umgesetzt.

Willibald Spatz
17. März 2004

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