Jedes muss. Oder was soll das für
ein Theater sein, wenn es es nicht tut? Einen Roman heraus aus den Seiten
reißen und hinauf auf die Bühne. Im Münchner Volkstheater
trifft es Kleiner Mann was nun? von Hans Fallada. Darin geht es um Hans,
dem es mittelmäßig geht. Er verdient in einer Firma, aber dann
ist Freundin Lämmchen schwanger und damit ist es zu wenig. Aber irgendwie
werden sie das Kind schon über den Berg bringen. Denken sie, täuschen
sich aber: Denn Hans wird seinen Job los, weil er die kreuzhässliche
Tochter des Bosses nicht heiratet, ist er doch schon weg vom Markt.
Dann zur Mutter, deren Freund Jachmann
besorgt ihm einen Job als Kleiderverkäufer. Dann Kind, dann Probleme,
dann wieder Job weg, dann und so weiter.
Regisseur Gil Mehmert stemmt alle Tricks,
um den Stoff an den Mann zu bringen. Und er erledigt seine Arbeit gut,
und er zeigt alles, was er kann. Da dreht sich eine Treppe aus dem Hintergrund
nach vorne und wird die enge Wohnung von Lämmchens Proletariereltern,
da wird die ganze Bühne auf einmal schon zur Maisfabrik.
Nichts anderes als virtuos ist der Umgang
mit Requisiten. Einer der zu lobenden, ständig anwesenden Musiker
vergisst auf der längst legendär gewordenen Treppe einen Drumbesen,
auf den Hans als Klingelknopf drückt, Ton von der Hammondorgel. Und
bei all dieser grandiosen Action, denkt man sich: „Der Gil Mehmert, der
kann mir alles verkaufen“ und merkt erst spät, dass eigentlich noch
gar nicht viel passiert ist, dass da noch viel kommen muss, bis das Soll
der Geschichte erfüllt, ihr Ende erreicht ist.
Roman ist Roman und hat so viel Platz
wie er braucht, nicht aber das Theater: Das hat maximal einen Abend, weniger
unverschämt entlässt es noch mit ein wenig Zeit, was zu trinken
vor dem Bett. Das heißt, es müsste ein bisschen zur Sache kommen,
hin und wieder. Der Unterschied zwischen der Geduld eines Romanlesers und
der eines Theaterzuschauers ist, dass der eine jederzeit zumachen und rausgehen
kann.
Aber das ist dieser Inszenierung egal,
die denkt: „Der da vor mir sitzt, freut sich, wenn die einen an der Wand
ein Drehbuch vorsprechen und ein bisschen spielen und die anderen an der
Wand gegenüber das Kinopublikum sind“, längst nach der Pause,
längst nachdem alle Eventualitäten vor dem Ende erraten oder
verraten wurden. Alle diese verrückten Regieeinfälle werden nicht
dünner, wirken aber mehr und mehr wie theatralische Kraftakte. Zuviel
des wirklich Guten: Die erste Wurstsemmel schmeckt genial, die zweite gut,
aber ab der dritten leidet der Hunger.
Wieso hat man daraus nicht zehn Stücke
gemacht und einen früher heim gelassen? Dann würde man nächstes
Mal sicher mehr kaufen.
Willibald Spatz
19. April 2004