„Macht Liebe glücklich?“ – Nein,
sie zerfetzt wie ein Blumenstrauß, der über einen Tisch gezogen
wird. Man sieht, in Stephan Rottkamps Inszenierung von „Miss Sara Sampson“
in den Münchner Kammerspielen werden Fragen nicht nur mit Worten,
sondern mit Bildern beantwortet. Vielen. Guten. Das Bühnenbild
von Robert Schweer bietet den idealen Ort dafür: Aus einer kleinen,
nur mit einer Kerze beleuchteten Liebesgrotte für Sara und Mellefont
mit armseligen Tapeten wächst sie die ganze Zeit hindurch heran zu
einer riesigen Kathedrale des Selbstbetrugs, in deren Mitte am Ende die
Heldin wie eine Idiotin geschminkt zum Liegen kommt.
„Ich habe die Liebe von der Wollust zu
unterscheiden gelernt“, meint Mellefont gegenüber von Marwood,
seiner ehemaligen Geliebten, die drei Mal wiedersprechen muss. „Nein!“
„Doch!“ Drei Mal, der Rest bleibt undiskutiert. An Robert Dölle, der
den Begehrten gibt, wird gezerrt, in ihn wird sich viel verliebt, aber
er ist ein Mann, nur ein Mann, und dem muss man, vielmehr Fräulein,
verzeihen, denn schließlich verliebt sich Fräulein ständig
in den Falschen und er kann nichts dafür, dass er der Falsche ist.
Die andere Seite der Liebe ist die des
Vaters zu seiner Tochter, die verraten wurde und dennoch bereit ist, der
Verlorenen nachzureisen und ein Meer Blumen entgegenzustrecken. Der Diener
des Vaters Waitwell soll Sara nur einen Brief überreichen, der ihr
sagt, dass alles wieder gut ist, sie mit Mellefont eingeladen ist,
glücklich in der Familie zu sein. Caroline Ebner und Jochen Noch schaffen
in einer schauspielerischen Leistung, die zu gut ist, um sie einfach so
glauben, wie sie zu sehen ist, die wahrscheinlich komischste Szene des
Stückes und verpacken darin zugleich den bewegendsten Moment. Der
Zuschauer darf einem heiligen Moment des Theaters beiwohnen. Aber auch
sonst ist er nicht allein gelassen. Es scheint als vergehe keine Minute
ohne Regieeinfall oder ohne dass einer aus dem fünfköpfigen Ensemble
das Beste seines Könnens zeigen dürfte, auch im Umgang mit den
Gästen, einem Kind, das Marwood Mellefont als seines vorführt
und sich so entrückt natürlich verhält, dass man in diesem
Moment nicht mehr glaubt im Theater, sondern tatsächlich auf einer
grünen Picknickwiese zu sein. Und der andere Gast ein Pony, das -
jeder gute Vater weiß das, so auch Hans Kremer – die Tochter zur
Versöhnung stimmen soll.
In all dieser Verspieltheit bleibt noch
genug Raum für den Schmerz, den Nina Kunzendorf als Marwood Sara machen
muss, indem sie ihr eröffnet, dass sie beide nacheinander auf den
Gleichen hingefallen sind und alles an ihr tötet bis auf die Hoffnung.
Stille im Gefühlsdom und der Glaube an die unendliche Macht des Theaters.
Willibald Spatz
25. November 2003