Eine brave Idee: Der Blick herum in einer
Hotellounge zeigt viele Personen und lässt teilhaben an deren Geschichten
kürzer oder länger, jedem selbst überlassen, wie sehr einen
das Ende interessiert, das man zwar nicht sieht, aber sich ausdenken kann,
zum Beispiel: Ein Mann lässt seine Frau allein, sie könne ihn
ja anrufen, kaum draußen ist der nächste da im Morgenmantel
mit Buch, schaut ihr anständig über die Schulter in die Zeitschrift
und unterhält sich ton-, nicht wortlos, während der Rezeptionist
telefoniert: einer will kommen, soll aber nicht usw. So funktioniert’s
auch, indem die Masse sich bewegt zu Fahrstuhlmusik und wenn das Licht
angeht über einer Gruppe, dürfen die reden und die anderen müssen
still stehen, außer sie machen noch drei Schritte im Dunkeln, um
ihre Position zu erreichen.
Schön wäre das, wenn es so weiterginge,
vielleicht eine Stunde und dann heim, aber es muss doch eine Handlung her:
Der Verleger Zacharias Werner, der schon am Anfang, in der ersten Szene,
negativ aufgefallen ist, indem er die Lesung von Sylvia Kessel aus ihrem
neuen Roman unterbrochen hat und das aus dem Publikum, will das Buch, ihr
zweites, um jeden Preis veröffentlichen. Er tut alles, er schläft
sogar mir einem angehenden Model, das er auf den ersten Eindruck vorauswählen
sollte, er macht Geschäfte mit einem großen korrupten Verleger,
alles für die gute Sache, das Ideal. Klar, dass sich Sylvia in ihn
ein bisschen verliebt, so dass sie ihm nicht nur ihre Kunst, sondern auch
ihren Körper anbietet. Den braucht er nicht, solange nicht auch das
dritte Buch draußen ist: Ihre Geschichte aus ihrer Sicht. Offenes
Ende.
Dazwischen ein altes Ehepaar mit Koffer,
eindeutig Philemon und Baucis, weil er für sie immer wiederholen muss,
dass er nicht mehr ohne sie könne, ein selbsternannter Liftboy, zwei
Handzettelverteiler namens Alfredo und Vittorio, die Spaß machen.
Es läuft so gut, drei Stunden so schnell vorbei, bis wieder Dialoge
anstehen zwischen Sylvia und Zacharias, denen einer vergessen hat zu sagen,
dass sie keine so großen Gesten machen müssen, denn im beschämend
halbvollen Haus sitzt jeder so weit vorne, dass er sie gut sieht.
Warum entlässt der Schlussapplaus
den Zuschauer mit einem guten Gefühl? Das Bühnenbild? Beeindruckend,
viele Türen von allen Seiten, hinten oben sieht man raus, wenn Figuren
Auftritte ankündigen oder Dinge machen, die man unten nicht sehen
soll. Aber das kann nicht alles ein. Ich meine, es ist die Lust am machen
wollen, die Herausforderung anzunehmen, ein nicht leichtes, langes Stück
umzusetzen. Bei der zweiten vollbesetzten Szene in der Lounge dürfen
sich alle bewegen, auch wenn das Licht nicht auf sie fällt und das
ist anders als am Anfang, erfrischend anders. Gute Idee.
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Willibald Spatz