Dea Loher kann von Glück reden, Andreas
Kriegenburg zu haben, den Regisseur, der ihren Texten zur Uraufführung
auf die Bühne hilft. Leicht ist das nämlich nicht im Fall „Unschuld“,
dem letzten, einem gigantischen Stück Theater, drei Stunden schwer,
13 Schauspieler, die Geschichte von Fadoul und Elisio, illegalen Einwanderern,
die eine Frau ertrinken sehen, von Frau Zucker, die bei der Tochter und
deren Mann einzieht mit ihrer Diabetes, von Absolut, der blinden Stripperin,
von Ella, der Philosophin und von Frau Habersatt, die nie einen Sohn hatte,
sich aber den Leuten als Mutter der Mörder von deren Kindern ausgibt.
Und dazu drei Chorszenen. Viel Welt ist da und viel Schmerz würde
zu schlucken sein, wäre nicht die clowneske Leichtigkeit Kriegenburgs,
die dafür und dagegen arbeitet mit Video unter anderem; die Illegalen
dürfen auf der Bühne sich am Strand beobachten oder an der Bushaltestelle.
Zu Beginn schminken sich die Schauspieler vor den Zuschaueraugen und dürfen
später unter den Szenen helfen umzubauen, das Licht zurechtzurücken
oder ein Bücherregal zu halten.
Das lockert nicht nur die Atmosphäre,
sondern bringt auch einen Zusammenhang in die sonst zu losen Szenen. Leider
entsteht zunehmend der Eindruck, dass die Intention der Autorin und die
Inszenierung so aneinander reiben, dass zuletzt die Kanten verschwunden
sind. Victoria Trauttmannsdorf als Frau Zucker fordert ihren Phantomschmerz
auf, mit ihrem Körper zu kooperieren und zu verschwinden wie das amputierte
Bein. Soll man hier sein bitteres Lachen runterdrücken oder ihr die
Todeskalauerei im Engelskostümchen übel nehmen?
Hans Löw als Fadoul zerreißt
einen 50 Euro-Schein, gibt die Teile zwei Zuschauern und fordert diese
zur Scheinhochzeit auf. Hat man nicht schon mal besser gelacht?
Aber ganz im Ernst: Die Inszenierung hat
bewegende Momente, nicht wenige, den Kuss, den Faduol Claudia Renner als
Absolut auf die Wange gibt, zum Beispiel, und wie diese seinen Mund immer
wieder auf ihre Wange zieht, nur um ihn noch mal zu bekommen. Und auch
schönen Slapstick gibt es im Chor der Selbstmörder oder der Autofahrer.
Selten, dass man dies sagen muss, aber
eine Spur weniger Humor, eine Prise Betroffenheit und man ginge bewegt
aus dem Theater und hätte vor allem ein paar Mal ehrlich laut gelacht.
Willibald Spatz
4. Januar 2004