Es gibt Menschen, denen knallt ständig
das Leben die Nase vor der Tür zu, die sind, egal wo, am falschen
Ort zu falschen zeit. Ein solcher ist Woyzeck: Seine Frau, die Marie, hat
was mit einem Tambourmajor, um zu überleben muss er einen Hauptmann
rasieren und fiese Experimente eines Doktors über sich ertragen. Eindeutig
Opfer.
Dann gibt es Menschen, die fühlen,
egal wo, sich nur ständig im Nachteil gegenüber den anderen.
Als einen solchen zeigt Michael Thalheimer den Woyzeck in seiner Inszenierung.
Willkommen in seinem Kopf! Der Mann - in dem Fall Peter Moltzen - steht
in der Mitte eines großen Metallwürfels, und wer zu ihm muss,
kommt von rechts Außen. Zuerst der Schlagersänger Markus Graf,
der dem Spiel einen bunten Rahmen geben darf. Die Marie von Fritzi Haberlandt
ist wirklich nicht zu verstehen, wie sie den Bauch des Tambourmajors Peter
Kurth haben wollen kann, wo sie doch den Woyzecks bekäme.
Sie alle müssen da rein, auch der
paranoide Hauptmann Norman Hacker, der bis ins Idiotische zynische Doktor
Peter Jordan, und sie werden sprichwörtlich an die Wand genagelt im
Kopf Woyzecks, der die Welt so verzerrt wahrnimmt. Und es wird mit ihnen
abgerechnet, auch das muss erlaubt sein in Gedanken. Allerdings eindeutig
Täter.
Als Andres in Form von Frau Katharina
Schmalenberg kommt, um Woyzeck nach halbgetanem Werk eine Schulter zum
Anlehnen zu bieten, wirkt das fast blutleer, macht aber nichts, denn es
geht weiter, und Thalheimer hat seine Stärken und setzt ganz auf sie:
ein klares Regiekonzept, das hundertprozentig aufgeht und eine so detailliert
saubere Schauspielführung, dass das Zuschauen trotz des Blutstroms
eine reine Freude ist.
Verziehen sei auch die Entmündigung
des Publikums durch das Hinerziehen des Großmuttermärchens,
von Markus Graf präsentiert, jedoch nicht gesungen, damit der letzte
noch mal kapiert, wie das gemeint ist. Es bleibt vor allem der Eindruck,
dass die neue Sicht eines Regisseurs auf ein altes Stück, dieses profitieren
lässt im Kopf des Zuschauers, sei der nun vom Leben benachteilt oder
nicht.
Willibald Spatz
2. Dezember 2003