Kapitel 7:Nobnoj Smada
Sonne und Licht, eine wunderbare Parkanlage und ein Swimmingpool, ein
süßer Cocktail, der unter normalen Umständen wahnsinnig besoffen machen würde,
jetzt aber, da es dem Hirn vollkommen egal war, was man mit ihm anstellte, war
alles nur dazu da, um ein rundes Bild abzugeben.
Pandarei wußte, daß sie gut aussah, verdammt gut in einem blauen Bikini
mit weißen Punkten. Sie wußte, sie war zu beneiden, sie war in der Nähe von
Nobnoj; sie hatten noch nicht viele Worte miteinander gewechselt, aber es war
der Name, die Nähe, dieser Mythos.
Er war wie in einem amerikanischen Film, außerhalb der Realität, und die
Leute hatten dafür bezahlt, das sehen zu können, sie saßen im Dunkeln, hatten
eine graue Welt hinter sich gelassen und konzentrierten ihre Sehnsüchte auf
sie, wie sie da saß und trank und gut aussah und alles gut aussah. Damit hatte
sie nicht die geringsten Probleme, dazu hielt sie alles noch viel zu sehr für
einen Traum, auch das was vorher gewesen war: dieser schlechte Kellerraum,
diese wirre Stimme aus dem Nichts, der Lärm und der Staub und das Erwachen.
Alles war schnell geschehen und sie hätte jetzt zum ersten Mal Zeit gefunden,
das Ganze zu verarbeiten, sie verspürte aber nicht das geringste Verlangen
danach.
Wahrscheinlich war ihr Gehirn irgendwo auf der Strecke geblieben bei
einem besonders lauten Knall oder es genoß auch die Umgebung, stand an einer
Bar, mit einem Drink und flirtete mit ein paar netten Damen, die man nur im
Kino für möglich gehalten hätte. Pandarei glaubte, daß ihr Gehirn ihr
männlichstes Körperteil sei. Sie war ganz froh, es nicht mehr mit sich
herumtragen zu müssen, denn sie wollte diese Zeit ausschließlich als Frau
erleben. Die gute Pandarei bemerkte leider nicht, daß ihr Gehirn die ganze Zeit
hinter ihr stand und nur darauf wartete wieder in ihrer Schädeldecke bequem
Platz zu nehmen und für etwas Umtrieb zu sorgen. Mit jedem ihrer Gedanken, die
sich anfangs wirklich wie Emotionen anfühlten, klaffte ein breiter Spalt in
ihren wunderbar wasserstoffblonden Haupthaar und ließ ihre männliche Seite mehr
und mehr in sie eindringen.
Auch Nobnoj sah gut aus und er lächelte dieses Lächeln, das ihn bekannt und
beliebt machte. Es war die Tatsache, daß er lächelte nicht wie er es machte und
hätte er nicht gelächelt, wäre es die Tatsache gewesen, daß er nicht lächelte.
Dieser Mann war ein Magier, doch zauberte nicht er, sondern es wurde für ihn
gezaubert und zwar von allen, die sich bezaubern ließen von ihm, weil sie sich
gern bezaubern ließen, weil sie Magie liebten und weil sie wußten, daß es Magie
nur gab, wenn sie sich nur lang genug einbildeten, daß es sie gehe. Keiner
hatte den Gedanken je ausformuliert, aber tief im Innern lebten sie danach, daß
Selbstbetrug ihr halbes Dasein ist.
Sie hatten das Leben von Anfang an wie ein Spiel angepackt, das sie nicht
ernst nahmen und in dem sie nicht ernst genommen wurden. Es wäre ganz wunderbar
gewesen, wenn es nicht manche von ihnen vergessen hätten und plötzlich
ernstgenommen werden wollten. Ein tragisches Element schlich sich in ihr Leben
und versaute es und das alles wegen eines kleinen bißchens Magie. Plenten sah
diese blonde Locke in die Stirn dieses sehr durchschnittlichen Gesichts hängen
und er haßte ihn, aber nur, weil andere ihn liebten. Plenten ärgerte sich auch,
weil er meinte, diesem Menschen eigentlich viel gelassener begegnen zu müssen,
wie jemandem, der an ihm vorbeiläuft, während er auf der Straße sitzt und
darauf wartet, daß Geld vor seine Füße fällt. Er dachte an Susie, weil er
wußte, daß er jetzt an sie denken mußte, weil sie recht hatte. Er hatte
ursprünglich gehofft, das ganze Spiel ohne großen emotionalen Einsatz spielen
zu können. An Gewinnen hatte er nie gedacht.
"Nett, dich endlich einmal kennenzulernen, ich habe schon viel von
dir gehört, King."
Der Raum durch den dieser Satz klang war geräumig und hell. Eingerichtet
in verschiedenen Brauntönen und modern, mit Gemälden an der Wand Punkte,
Striche und geometrische Formen in blau und rot. Es war jenes
"modern", das die Leute, die es modern fanden, zu kompletten
Vollidioten in den Augen der Leute in zehn Jahren machte. Das sah ein sensibler
Geist und es machte ihn traurig. Auf diesem braunen Sofa saß nun Heinz. Nobnoj
und Plenten auf Sesseln. Der Glastisch vor ihnen hatte goldene Füße und war mit
Bier in Dosen beladen. Mit sicherem Verstand war alles so hergerichtet worden,
daß Plenten sich möglichst unwohl fühlte. Das beeindruckte ihn.
Er sank tiefer in das Leder des Sessels. Er versuchte so - mehr für sich
als für andere - den Eindruck einer gewissen Entspanntheit zu erwecken.
"Du fragst dich sicher, was dir die außerordentliche Ehre
verschafft, dich in meiner Nähe aufhalten zu dürfen."
Plenten bemitleidete sein Gegenüber nicht, weil er offenbar selbst an
einen Mythos glaubte, sondern auch weil er sich Zeit nahm, sich solche Worte
auszudenken und diese Reden hundert Mal im Geiste zu halten, solange bis er sie
gut und originell fand.
"Sehr viele Leute auf diesem Planeten würden dich jetzt beneiden
wenn sie dich jetzt so sehen könnten."
Wie um sich völlig zu disqualifizieren, lachte er ein einladendes Lachen.
Sogar Heinz verzog nur mühsam sein dickes Gesicht, gab aber so dennoch seine
Armseligkeit preis.
Plenten nahm eine Dose Bier vom Tisch und öffnete sie sehr bewußt und
geräuschbetont, um den beiden so sein Bedauern auszudrücken, daß er so wenig
Bedauern fühle für Leute wie sie, denen keiner helfen kann. Er dachte wohl, das
Bier verpflichte ihn zu solchem Anstand, immerhin hätten sie auch eine Flasche
Mineralwasser hinstellen können, denn schließlich mußte es sich hier um etwas
Geschäftliches handeln. Soviel meinte Plenten begriffen zu haben und es fügte
sich harmonisch in seine negative Grundstimmung ein.
"Bitte", sagte Nobnoj und machte eine einladende Bewegung,
etwas verlegen, als ob er während ihrer Ausführung bemerkte, daß er so kräftig
seine Souveränität attackierte. Ein Ärger, der gerade vorüberflog, warf seinen
Schatten kurz auf sein Gesicht, als er sich zurücklehnte, um seine Rede
fortzusetzen, Gelassenheit heuchelnd. Wie wenn Plenten auf diese Gelegenheit
gewartet hätte, brach er nun zum ersten Mal einen Stein aus der Mauer seines
Schweigens und sagte: "Hat jemand eine Zigarette?"
Plenten verspürte wirklich ein Bedürfnis zu rauchen. Er wollte die
Sauerstoffzufuhr zu seinem Hirn blockieren, um es zu beschäftigen. Seinen Blick
mußte man als sehr stechend und konzentriert bezeichnen und es war nur ein
Blick, den er auf Nobnoj geworfen hatte ohne ihn seit dem wieder zurückzuholen
und auf ein anderes Objekt zu richten. Das beunruhigte Nobnoj allerdings nicht,
da er klar zu verstehen meinte, daß Plenten ihn dadurch nur beunruhigen wollte.
Heinz hatte aus einer Schublade eines kleinen Schränkchens Zigaretten und
einen Aschenbecher geholt und vor Plenten auf Tisch plaziert, er musterte ihn
sehr genau und war bemüht, ein ernstes und unbewegtes Gesicht zu machen. Seine
Bewegungen waren demonstrativ widerwillig und mühsam. Plenten fand, daß Heinz
seine Rolle sehr schlecht spielte, weil er sie sich nicht glaubhaft genug
einreden konnte.
Feuer bot er ihm aus einem Benzinfeuerzeug an, eine Goldkette schaukelte
an seinem behaarten Handgelenk. Plenten entspannte sich nun völlig, zauberte
ein Grinsen auf sein Gesicht, dankte freundlich, und ließ sich noch tiefer in
den Sessel sinken und spazierte nun mit seinen Augen scheinbar interessiert und
amüsiert durch den Raum. Seine menschenverachtende Einstellung hatte einen Sieg
auf der ganzen Linie erreicht und er fühlte eine tiefe Befriedigung.
Nobnoj mißdeutete dies als einen Versuch, dem Gespräch eine
ungezwungenere Atmosphäre zu geben und zündete sich auch einen Zigarillo an.
"Soll ich etwas zu Essen bringen lassen? Hast du Hunger?"
"Gern!" Plentens Augen leuchteten.
Der arme Heinz fühlte die Stimmung in Euphorie umkippen und war völlig
überfordert. Er stand einfach auf, um irgendwo belegte Brote aufzutreiben. Er
wußte nicht, oh er seinen Bewegungen eine bestimmte Gestalt geben sollte, er
wußte nicht ob er relativ schnell oder relativ langsam wirken sollte. Er dachte
und handelte.
Als er zurückkam mit einem Tablett voll Wurstbrote, die er in der Eile
angefertigt hatte, fand er beide in einem ernsten Gespräch. Ein leicht
aggressiver Unterton lag bereits in Plentens Stimme, auch hatten sich beide
etwas vorgebeugt, Nobnoj stützte seine Ellbogen auf seine Knie und lauschte
interessiert.
"... Illusionen.", sagte Plenten durchaus noch ironisch.
"Ich weiß zuviel. Ich lebe am Ende dieses Jahrhunderts und habe mir aus
Vernunftgründen angewöhnt, nicht allzusehr über meine Lage und die der Welt
nachzudenken, geschweige denn darüber zu reden. Wenn man alles für
grundsätzlich schlecht hält, wird man hin und wieder noch angenehm
überrascht."
"Ich bin auch weit davon entfernt, die Welt verbessern zu wollen.
Sie ist in Ordnung in ihrer Unvollkommenheit. Es kann jeder was daraus machen,
wenn er die genügende geistige Flexibilität mitbringt. Ich bin reich, ich habe
Macht und genieße es. Ich würde mich auch nicht als oberflächlichen Menschen
bezeichnen, nicht deswegen. Du kannst das auch genießen, bestimmt, kein
Problem. Du hast Angst, zu sehr in etwas hineingezogen zu werden, eine Rolle
spielen zu müssen. Aber das mußt du immer. Ich zwinge dich zu nichts. Ich liebe
nur gute Stories, zum Beispiel die vom Penner, der zum großen Rock 'n'
Roll-Star wird, anschließend noch ein paar gute Bücher und Filme macht und als
Mönch in Tibet stirbt, klingt doch gut. Aufschreiben kann sowas jeder, aber
leben, ‘Leben ist die Kunst.’"
"Oder die Geschichte vom Rock 'n' Roll-Star, der die Welt vor einer
unterirdischen Bedrohung gerettet hat."
"Genau. Ich liebe das. Bei jeder Entscheidung muß man daran denken,
daß der Biograph einem im Rücken sitzt und den nächsten Schritt in einen Satz
verwandeln wird und viele schlechte Sätze machen ein Buch kaputt."
"Man müßte vorher aber eine Vorstellung haben, wie viele Kapitel das
Werk haben soll, ein Buch, das erst ab der Mitte gut konstruiert ist, hat
Absatzprobleme."
"Man muß auch an die Verfilmung denken, zu viele innere Monologe
sind unbrauchbar ‘Handlung! Action!’ "
"Ein gutes Leben läßt sich auch fortsetzen und zu einer Fernsehserie
machen, ein mittelmäßiger Drehbuchautor sollte keine Probleme haben auch noch
weitere unbekannte Episoden zu erfinden."
"Micky Maus und Donald Duck sind jung und dabei lebt jeder
hunderttausend Jahre." Die beiden steigerten sich zusammen hinein und sie
hatten sichtlich viel Spaß dabei, wenn auch der eine sich mehr darüber freute,
mit welchem Ernst der andere sprach. Sie spielten Leben, es war eine heiße
Partie.
Im Aschenbecher, auf dem eine Jagdgesellschaft aus dem vorigen
Jahrhundert abgebildet war, die sich um einen Hund scharte, der gerade eine
erlegte Wildente herbeibrachte zum eigentlichen
Zentrum der Aufmerksamkeit, einer jungen Dame auf einem braunen Pferd,
die ihre Schönheit durch strenge Reiterkleidung gezügelt hatte und die die sie
umgebenden älteren Herren farblos erscheinen ließ, weil man sich bei diesen
nicht dachte, daß ihre Kleidung angemessen war, in diesem Aschenbecher lagen die
kümmerlich verkrümmten Überreste der Zigarillos inmitten von grauem Staub, in
den sich der einstmals würzig braune Tabak verwandelt hatte. Plenten hatte sich
gerade einen neuen angezündet, inhalierte mit meditativer Andacht und ließ den
Rauch mit unangemessener Eile und Heftigkeit aus seinen Nasenlöchern strömen.