Wir müssen lernen wie die zwei Buben,
dass Fragen gestellt werden dürfen, sollen, dass es aber keine Antworten
gibt, weil Antworten nichts helfen. Die Kiste bleibt zu, basta, und unsere
Sorge um uns ist grundlos, dass wir uns langweilen, weil es nichts zum
Mitraten gibt, Mörder zum Beispiel, weil es egal, was wir raten, keine
Auflösung gibt.
Geheimnisse, darum geht es Andrej Swjaginzew
in seinem ersten Film Die Rückkehr, der zur Überraschung in Venedig
den Goldenen Löwen gewonnen hat und seitdem gar nicht mehr aufhört,
abzuräumen und so die Krise des russischen Films zu beenden. Zwei
Kinder, Andrej älter als Iwan, leben mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter,
wissen von ihrem Vater nur, dass er es ist, der mit ihnen, als sie klein
sind, auf einem Foto im Dachboden zu sehen ist. Eines Spieltags abends
kommen sie heim, und die Mutter sagt ihnen, dass er wieder da sei, dass
er schlafe, als sei das die typische Beschäftigung eines Mannes, der
zehn Jahre irgendwo war. Er ist gekommen, um wieder zu fahren, mit ihnen.
Der Vater macht mit seinen Söhnen einen Ausflug, angeln und so weiter,
nichts Ungewöhnliches. Der strenge Mann will sie anscheinend erwachsen
machen, indem er sie zwingt, kleine Alltagsaufgaben zu lösen: Andrej
soll ein Restaurant suchen in einer fremden Stadt und dort bezahlen, zum
Beispiel. Der jüngere Iwan findet das eigenartig und will schnell
nichts mehr mit dem Fremden zu tun haben, der nicht locker lässt und
bald ein bisschen wie ein Entführer wirkt. Die Reise wird länger
und kommt zum Stehen auf einer Insel mit dieser Kiste, hinter der der Vater
her ist und die vielleicht auch der Grund für die Reise ist.
Das wird nicht geklärt, eigentlich
nichts. Nicht, wo der Vater war, nicht, was in der Kiste ist. Kapieren
wir schneller als die Buben, wissen wir aber auch mehr, weil wir mit der
Kamera mitdürfen zur Hütte mit Kiste im Boden und die Kinder
erst nachkommen dürfen, als da, wo erst die Kiste war, nun nur noch
ein Loch ist.
Andrej Swjaginzew entdeckt den Reiz des
Geheimnismachens, die Aura des Unberührten und findet darin etwas
Heiliges, etwas schimmern. Der große, griechische Beantworter der
Antike, Aristoteles, hat einmal in einer Vorlesung gesagt, der Beginn der
Philosophie sei das Staunen. Die Bilder, die hier zu sehen sind, sind staunende
Blicke auf die Normalität: Da liegt ein Mann im Bett und schläft,
da rudern zwei Kinder im Regen und es sieht aus wie ein Wunder, das geschieht
im Augenblick.
Die nordrussische Landschaft scheint vom
Schöpfer nur so gemacht als Kulisse für eine Reise, die kein
Ziel haben kann, die ein ununterbrochenes Ankommen ist, auf der keine Orte
mehr existieren. Der quengelnde Iwan wird aus dem Auto geschmissen, an
der Straße stehen gelassen und da bleibt er, denn was hülfe
es, anderswohin zu gehen, wenn man überall verloren ist?
Dieser Film ist religiös. Er macht
die Religion nicht zum Thema, aber sie ist zu spüren in den Bildern
und in den Personen, die manchmal biblische Momente nachstellen. Das ist
schön. Ein Umgang, der keine Probleme macht. Da will keiner missionieren,
da will aber einer auch nicht abstreiten, dass ihm das wichtig ist, immer
da, eine Energiequelle im Raum.
Der Darsteller des Andrej, Wladimir Garin,
ist drei Tage nach Drehende mit 16 Jahren ertrunken und hat ein Büschel
Hoffnung aus der Welt gerissen. Aber auch Iwan Dobronrawow, der Iwan, spielt
den trotzigen Jungen, der gar nicht verstehen will, was das Ganze soll,
Erwachsen werden und so weiter, so überzeugend, dass man sagt, da
kommt noch was, das Gesicht merke ich mir.
Zusammenfassend soll man sagen, dass alle,
die gar nichts von der Krise des russischen Kinos mitbekommen haben, sich
freuen dürfen, so von ihrem Ende zu erfahren.
START: 1. April 2004
Willibald Spatz
8. März 2004