Der 40-jährige Andrej Swjaginzew gewann mit seinem Debütfilm Die Rückkehr den Goldenen Löwen in Venedig und dazu noch rund ein Dutzend weiterer Preise. Er erzählt in seinem Film von zwei Jungen, deren Vater nach zehnjähriger Abwesenheit heimkommt und die beiden mitnimmt auf eine Reise auf eine Insel, auf der eine mysteriöse Truhe vergraben ist. Im Interview erzählt er von unerwartetem Erfolg und den Geheimnissen beim Filmemachen.
Herr Swjaginzew, freuen Sie sich noch,
wenn Sie einen Preis bekommen?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Ich möchte
niemanden abschrecken, der mir noch einen Preis verleiht, aber es hat natürlich
nicht mehr dieselbe Bedeutung wie zu Beginn. Die Anzahl spielt keine Rolle.
Mir hat ein Goldener Löwe ausgereicht. Jetzt hat man uns zum Beispiel
auch noch in Mexiko ausgezeichnet. Das freut einen natürlich sehr.
Hätten Sie jemals damit gerechnet,
irgendetwas zu gewinnen?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Nein, überhaupt
nicht. Ich habe den Film für mich und Leute, die so denken wie ich,
gedreht - ich meine damit natürlich nicht für mich und meine
Freunde da hätte ich auch ein Heimvideo machen können , sondern
es war eben so eine Art Darlegung meiner Weltsicht für Menschen, die
mir intellektuell nahe sind, und ich hatte nicht damit gerechnet, dass
ich so viele Gleichgesinnte auf der Welt finden würde. Es ist eine
angenehme Entdeckung, besonders, wenn man bedenkt, dass das russische Kino
zurzeit in einer Krise ist und vom Rest der Welt übersehen wird.
Wie kamen Sie auf die Idee zu Die Rückkehr?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Als der Produzent
mich einlud, einen Film fürs Kino zu machen, hatte ich keine Vorstellung
von der Form oder dem Inhalt. Ich habe einfach ein gutes Drehbuch gesucht,
und ich hatte das Glück, eines zu finden. Es war sehr polyvalent war
und hatte eine große Tiefe, die dann mit religiösen und mythologischen
Motiven gefüllt werden konnte.
Haben Sie die Geheimnisse im Film, die
uns Zuschauern verborgen bleiben, für sich und die Schauspieler aufgedeckt,
ohne sie uns jetzt zu verraten?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Si si. Im Drehbuch
waren Antworten. Es war klar, was es mit dem Kästchen auf sich hat.
Es gibt dazu eine Vorgeschichte. Es wird auch klar, wie es danach damit
weitergeht. Auch die Geschichte des Vaters wurde erzählt. Es gab Attribute
an ihm, die zeigten, was los war mit ihm. Während des Drehs
habe ich diese Dinge so verändert, wie ich sie für meine Sicht
für richtig hielt. Zum Beispiel diese Sache mit dem Vater zeigt unmittelbar
mein Verständnis des Films. Darüber rede ich grundsätzlich
nicht, nie. Ich wollte sein Schicksal - seine Herkunft und seine Abwesenheit
- so unklar haben und deshalb habe ich das Drehbuch umgeschrieben. -
Oder das Kästchen: Es gibt einige
Dinge, die auch für mich im Dunkeln bleiben. Seinen Ursprung und seine
Funktion will ich auch vor mir verborgen halten. Es gibt bestimmte Aspekte,
die mir wichtig erscheinen, unter denen man diesen Dingen nicht auf den
Grund gehen, sondern sie im Vagen lassen sollte.
Ich konnte dem Kästchen schlicht
keine rationale Erklärung geben, ich konnte nicht. Es war eine intuitive
Entscheidung, es nicht zu öffnen. Ich hatte nie Zweifel daran. Meine
Freunde, die das Drehbuch gelesen haben, die durchaus gebildet sind, haben
gesagt: Du musst es anders machen, du musst die Sache mit der Truhe auflösen.
Du kannst es nicht so im Unklaren lassen. Ich kann nicht erklären,
warum, aber ich hatte nie Zweifel daran, dass das Geheimnis der Truhe mit
dem Vater untergehen muss, dass sie verschlossen bleiben muss.
Ich habe unlängst einen Drehbuchautor,
einen sehr wichtigen für den russischen Film, Alexander Mendanzy,
kennen gelernt. Er hat sehr treffend seine Sicht auf diese Truhe formuliert:
Es ist eine Dreistigkeit, eine Verletzung aller Gesetze, nach denen müsste
die Truhe aufgemacht werden. Das ist irrational, das ist Intuition. Und
das ist sehr wichtig für mich.
Schlaue Leute sehen in dem Vater die
russische Vergangenheit und in den Kindern die Gegenwart. Die Kinder wissen
gar nichts von der Vergangenheit und werden auch nie etwas erfahren. Sie
werden vielleicht auch gar nicht ihren Vater, also ihre Vergangenheit,
verstehen können. Ist das eine Richtung?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Überhaupt
nicht. Aber ich nehme die Interpretation gern auf und gebe zu, dass es
Punkte gibt, an denen sie sich festmachen ließe.
Es ist nicht nur Ihr erster Film, sondern
auch der erste für den Produzenten Dmitrij Anatoljewitsch Lesnjewski
und die Drehbuchautoren Wladimir Moisejenko und Alexander Nowotozkij. Wieso
haben Sie nicht auf Erfahrenere zurückgegriffen?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Im Gegensatz
zu der allgemeinen Meinung, dass es besser ist, mit Profis zu arbeiten,
muss ich sagen, dass es etwas Wichtigeres gibt, was nur Debütanten
haben, was erfahrenere Leute verlieren: Mut und Energie bei der Interpretation,
Hingabe und Kraft beim Spiel.
Sie sind eigentlich Schauspieler. Wie
kamen Sie auf die Idee, einen Film zu drehen?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Ich habe 1990
die Schauspielschule GITIS in Moskau abgeschlossen. Der Übergang vom
Schauspieler zum Regisseur dauerte über zehn Jahre. Ich habe nur zwei
Mal im Theater gespielt. Nie in einem staatlichen oder kommerziellen
Theater. Es gab einen Regisseur, der eine Gruppe um sich sammelte, und
man spielt zum Vergnügen.
Als Regisseur habe ich einige Werbespots
gedreht und als Schauspieler gelegentlich in Kinofilmen mitgewirkt; da
dachte ich daran, auch einen Kinofilm zu machen. Dieser Prozess zog sich
über zwölf Jahre.
Dabei muss ich sagen, dass die Tatsache,
als Schauspieler gearbeitet zu haben, sehr hilft beim Regieführen.
Ich weiß, was in dem Schauspieler vorgeht und wo seine Probleme sind.
Viele Regisseure in Russland, die ich kenne, haben eine große Distanz
zu den Schauspielern, so dass diese sich allein gelassen fühlen. Ich
kenne das aus eigener Erfahrung. Ich weiß, was der Schauspieler vom
Regisseur braucht: Es ist seine Liebe, und dass der Regisseur an ihn glaubt,
weil er talentiert ist, dass er ihm beisteht, wenn er Schwierigkeiten hat.
Das verleiht dem Schauspieler Flügel. Er weiß, dass jemand hinter
seinem Rücken steht, jemand, der ihn liebt, und das hilft, das kenne
ich von mir selbst.
Haben Sie vor, in Zukunft etwas im Theater
zu machen?
ALEXEJ SWJAGINZEW: Im Augenblick
habe ich keine konkreten Pläne. Ein alter Traum von mir ist, Drei
Schwestern von Tschechow zu inszenieren, aber ob das nun im Kino oder auf
der Bühne stattfindet, weiß ich nicht.
Vielen Dank für das Gespräch
5. März 2004