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Die Beerdigung des besten Freundes

Das war ein übler Tag. Ich versuche mit dem Schreiben etwas Ordnung in mich zu bringen.
Es ist immer tragisch, wenn ein so junger Mensch sterben muß, kein Frage. Was klingt wie ein hohle Phrase, habe ich heute am eigenen Leib erfahren. Auf der anderen Seite hatte es auch etwas Würdiges, Bewegendes, fast würde ich sagen Schönes. Ich glaube, es war ganz in seinem Sinne.
So gesehen hatte es der Pfarrer leicht. Er mußte sich nichts aus den Fingern saugen, denn als ob er es geahnt hätte, hatte er eine Abschlußrede für sein Leben verfaßt. Sehr mutig von den Eltern, das verlesen zu lassen statt einer Predigt. Eine offene, ehrliche Abrechnung mit der Gesellschaft, dem Leben und einfach allem, ohne allerdings jemanden direkt anzugreifen. Sehr fein, muß man sagen. Respekt. Ich wurde sogar namentlich erwähnt, was mich äußerst stolz machte. Sehr gelungen. Das einzige, was störte, war, daß einige von der Feuerwehr erst jetzt in die Kirche kamen, weil die Bedienung so lange nicht gekommen war. Sie hatten sich nämlich vorher zu einem Weißwurstfrühstück getroffen.

Die Sonne schien und es war ganz schön warm, als wir am Grab standen unter den schwarzen Sachen. Die Eltern wollten, daß „ein paar moderne Sachen, die er so gemocht hat“, gespielt werden sollten. Weil ich früher bei den Parties immer aufgelegt habe, war ich dazu prädestiniert, die Lieder auszuwählen.
Das erste war Schorsch Kameruns „Menschen haben keine Ahnung“. Das wühlt auf. Das nimmt der Veranstaltung den überflüssigen Kitsch. Ich weiß, daß Schorsch noch nicht zu den deutschen Klassikern wie Rio Reiser oder Jochen Distelmeyer zählt. Trotzdem glaube ich, daß er gerade deswegen, weil er eben noch nicht unantastbar ist, besonders geeignet ist, diese Funktion zu erfüllen. Tatsächlich sah ich einige, die nach dem ersten Erschrecken genauer auf den Text hörten und etwas verstanden.
Als die Kränze niedergelegt waren, wurde es Zeit für Hannes Wader und „Heute hier, morgen dort“. Die Runde ging an mich. Die ersten Nicht-Verwandten zückten die Taschentücher. Das ist kein Schlager, das ist Liedermacher. Liedermacher heißen Liedermacher, weil sie das Schreiben von Liedern als Handwerk sehen. Sie solidarisieren sich damit mit den Arbeitern. Und nun wird so ein Stück am Grab von jemandem gespielt, der sein ganzes Leben nichts geschafft hat. Diese Ironie hat außer mir selbstverständlich keiner kapiert. Trotzdem war es schön und hat optimal gepaßt.
Nach der Rede des Pfarrers als Rausschmeißer kam Tom Waits mit „Hang down your head“. Ich gebe zu, das war billig, aber es haute voll rein. Sogar die Mädchen, die sonst immer gesagt haben „Der hat aber eine komische Stimme“ heulten Rotz und Wasser. Also gut, den einzigen Vorwurf, den ich gelten lasse, ist der, daß man wenigstens als letztes bzw. konsequenterweise noch was Deutsches hätte bringen sollen. Aber mal ehrlich: was denn? André Heller? Der ist eindeutig zu wenig allgemein. Schlager fallen von vornherein weg.

Zum Leichenschmaus durften auch die Freunde und Vereine. Als die Verwandten nach den  Beileidsbekundigungen in der Wirtschaft eintrafen, wurde uns gerade die zweite Runde gebracht. Es war, wenn ich mich recht entsinne, an einem Tisch mit Feuerwehrlern, an dem begonnen wurde zu schafkopfen. Meiner Meinung nach war auch das ganz in seinem Sinne. Er liebte dieses Spiel. Er war überlegt und vorsichtig, sagte lieber einmal mehr „weiter“ als einen mit rein zu reißen. So machte er nie große Gewinne, aber es kam auch selten vor, daß er am Ende eines Abends zahlen mußte.
Ich verlor 6 Mark 80. Ich denke, das ist in Ordnung für einen gemischten Braten mit Kroketten und Salat und sechs Weizen. Ich wäre schon noch geblieben, aber es herrschte allgemeine Aufbruchstimmung.

Jetzt sitze ich also hier und schreibe. Es wird schon besser. Eigentlich gibt es keinen Grund, unaufrichtig zu sein. So richtig war er gar nicht mehr mein bester Freund. Wir waren früher oft zusammen, aber in letzter Zeit hat man sich etwas auseinander gelebt und auch seltener gesehen. Trotzdem habe ich ihn gerade vor zwei Tagen am Telefon als meinen besten Freund bezeichnet. Und zwar weil ich –na ja- eben eine Ausrede brauchte.
Ein paar Bekannte von mir wollten mich auf ein Thin-Lizzy-Konzert mitnehmen. Die touren wieder. Bei denen ist übrigens auch einer gestorben. Ich jedenfalls habe überhaupt keine Bock auf diesen 70er Rockscheiß. Bleibt mir bloß weg mit dem Zeug! Manche Sachen mögen ja ganz niedlich sein, aber ich gebe bestimmt kein Geld mehr dafür aus. Das kann man von mir aus machen, wenn man pubertiert oder selbst in dieser Zeit groß geworden ist.
Aber erzähl doch mal einem Rockfan, daß dir seine Musik nicht gefällt! Das ist die größte Beleidigung überhaupt. Der geht sofort auf Distanz.
Deshalb habe ich ihn am Telefon meinen besten Freund genannt. Ich könne nicht mit, weil mich das zu sehr runter ziehe und alles noch zu frisch sei. So war das. Das haben sie akzeptiert. Es stimmt ja auch. So jung und so plötzlich.

Alles in allem ein großer Tag. So eine Beerdigung ist schon was Tolles. Zu schade, daß man die eigene nicht miterleben kann. Die ganzen Leute, wo sie bloß überall herkommen!
Nichtsdestoweniger werde ich es mir nicht nehmen lassen, meine  bis ins Detail zu planen. Nicht heute, aber bald. Man weiß ja nie, was alles so passieren kann (Scherz).
 
 
 

Geschmacklos?

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